Überwachen statt schnarchen – Das Bundesverwaltungsamt mausert sich zur Schnittstelle für Polizei und Geheimdienste

von Mark Holzberger

Im Bundesverwaltungsamt wird derzeit nicht nur an einer besseren informationellen Vernetzung deutscher Polizeien und Nachrichtendienste gearbeitet. Jetzt soll dort auch die Telekommunikationsüberwachung der Sicherheitsbehörden konzentriert werden.

Seit seiner Gründung im Jahr 1959 führt das Kölner Bundesverwaltungsamt (BVA) mit seinen knapp über 2.000 Beschäftigten eher ein Mauerblümchendasein: Denn viel gab und gibt es nicht zu berichten etwa über die Betreuung des deutschen Auslandsschulwesens, über das Beglaubigen von Unterschriften auf deutschen öffentlichen Urkunden – oder über die Hilfe des BVA bei der Abrechnung oder der Zeiterfassung für andere Bundesbehörden. Das ändert sich nun.

Seit Jahren bereits werden im BVA u.a. die Daten der jährlich mehr als 2 Mio. Visumsanträge zusammengeführt und überprüft. Das BVA baut zudem für sämtliche deutschen Dienststellen die Dateninfrastruktur für das neue Visa-Informationssystem (VIS) auf.[1] Über eine Kopfstelle beim BVA soll nun auch der Zugang deutscher Behörden zum VIS laufen. Hierfür arbeiten im Referat III A6 des BVA seit 2006 vier MitarbeiterInnen u.a. an der technischen Entwicklung dieser nationalen Schnittstelle und dem Aufbau einer ausfallsicheren Netzwerkinfrastruktur.

Über diese Kopfstelle beim BVA wird künftig aber auch der Zugriff der deutschen Polizeibehörden und Nachrichtendienste auf das VIS geregelt werden. Denn der Staatsschutz erhält nicht – wie von Deutschland gewünscht – einen Online-Zugriff auf das VIS, sondern nur einen mittelbaren Zugang – eben über diese jeweilige nationale Schnittstelle. 3,5 Mio. Euro hat die Bundesregierung für den Aufbau der VIS-Kopfstelle beim BVA zwischen 2006-2012 veranschlagt – insbesondere für Beschaffungs- und Entwicklungskosten.[2]

Da deutsche Sicherheitsbehörden europäische Datenbanken verstärkt nutzen werden, wird seit 2006 im BVA ferner an dem Projekt „Reengineering der Plattformen Innere Sicherheit“ gearbeitet. Im Zuge dessen sollen (zunächst im BVA) nationale Systeme und Datenbestände der Inneren Sicherheit in eine gemeinsame Plattform integriert und so die behördenübergreifende Zusammenarbeit in diesem Bereich gefördert werden.[3] Ziel ist, dass behördliche NutzerInnen über eine integrierte (d.h. medienbruchfreie und rechtssichere) Plattform Zugriff auf alle Dienste bzw. alle rechtlich verfügbaren relevanten Informationen erhalten.[4]

Zentralstelle zur Telekommunikationsüberwachung

Der neueste Schrei ist die Aufwertung des BVA zur technischen Zentralstelle der deutschen Telekommunikationsüberwachung (TKÜ).[5] 38 Polizei- und Nachrichtendienste des Bundes und der Länder unterhalten derzeit in Deutschland fast 80 TKÜ-Anlagen. Diese sind jedoch vielfach technisch veraltet bzw. nicht miteinander kompatibel.

Vor diesem Hintergrund möchte das Bundesinnenministerium (BMI) nun zunächst für das Bundeskriminalamt (BKA), die Bundespolizei und für das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) den technischen Vorgang der TKÜ beim BVA konzentrieren. Konkret plant das BMI den Aufbau

  • eines 10-köpfigen „Kompetenzzentrums TKÜ“ für die Bündelung der Konzeptions-, Planungs- und Forschungsaktivitäten zur TKÜ sowie
  • eines 33 Personen umfassenden „Servicezentrum-TKÜ“, das die benötigte informationstechnologische Infrastruktur aufbauen und betreiben soll.

Die eigentliche TKÜ würden die jeweiligen Behörden beim BVA in eigener Verantwortung durchführen. Auch die Auswertung der überwachten Kommunikationsvorgänge soll weiterhin bei der Bundesbehörde erfolgen, die die Überwachung veranlasst hat.

Das Trennungsgebot von Polizei und Nachrichtendiensten würde durch dieses Vorhaben nicht beeinträchtigt, da technisch sichergestellt sei, dass die „Ausleitung von Telekommunikationsinhalten und Verkehrsdaten nur an den jeweiligen [polizeilichen oder geheimdienstlichen] Bedarfsträger erfolgt, aufgrund dessen Antrag es zu einer Erhebung der Daten kam.“

Für die TKÜ soll beim geplanten Servicezentrum eine neue zentrale Abhöranlage installiert werden (deren Komponenten aus Gründen der Ausfallsicherheit aber auf zwei Liegenschaften verteilt werden). Das BfV soll sich eine solche Anlage bereits bestellt haben – zum Preis von über 40 Mio. Euro.[6] Hierzu schweigt die Bundesregierung. Beim BKA wurde ein Aufbaustab (übrigens ohne den Bundesdatenschutzbeauftragten) eingerichtet. Dieser soll sicherstellen, dass die beiden TKÜ-Zentren des BVA Mitte 2009 ihre Arbeit beginnen können. Die Länder sollen (vermutlich ab 2009) zunächst am Kompetenz- und später auch am Servicezentrum-TKÜ beteiligt werden.

Gesetzliche Maßnahmen zur Errichtung der beiden TKÜ-Zentren im BVA sind aus Sicht des BMI übrigens „nicht erforderlich“ (allenfalls eine Präzisierung der „Technischen Richtlinie TKÜ“).[7]

Aufbau einer neuen Überwachungsbehörde?

Auf der Sitzung des Bundestagsinnenausschusses am 28. Mai 2008 taten das BMI und der innenpolitische Sprecher der SPD, Dieter Wiefelspütz, so, als handele es sich hier lediglich um den Aufbau eines – zugegebenermaßen – „großen Rechenzentrums“. Tatsächlich aber geht es dem BMI um deutlich mehr: Ausdrücklich beabsichtigt man nämlich innerhalb des Kompetenz- und Servicezentrums auch eine „räumlich und organisatorisch enge Zusammenarbeit“ so genannter „Wissensträger“ der beteiligten Polizei- und Nachrichtendienste.

Und zum anderen hieß es in einem Sprechzettel des BMI vom 5. März 2008 für das Kamingespräch der Innenministerkonferenz (IMK) am 17. April 2008 in Bad Saarow wörtlich: „(Es) bestehen Überlegungen (dass das Kompetenz- und Servicezentrum) den Nukleus einer neuen Behörde bilden würden. Damit eine solche Behörde auch mit der immer stärkeren Internationalisierung der Telekommunikation umzugehen vermag, wird auch über neue Wege zur Verknüpfung der Methode der inländischen TKÜ mit der internationalen TKÜ (BND-Fernmeldeaufklärung) nachzudenken sein. Vorbilder einer solchen Behörde könnten die amerikanische National Security Agency (NSA) oder das britische Government Communication Headquarter (GCHQ) sein. Aufgrund der politischen Sensibilität einer neuen deutschen ‚Überwachungsbehörde‘ erscheint ein schrittweises Vorgehen zur Umsetzung … angezeigt.“

Das wäre deutlich mehr als das Wiefelpütz’sche „Rechenzentrum“. Zum einen wird hier über die – wie auch immer geartete – Einbindung eines technischen Kernbereichs des BND – nämlich der strategischen Fernmeldeaufklärung – nachgedacht. Und zum anderen nimmt sich die Bundesregierung mit der NSA ausgerechnet den – mit rund 38.000 MitarbeiterInnen – größten US-amerikanischen Geheimdienst zum Vorbild, der – zusammen mit dem ebenfalls erwähnten GCHQ – das skandalumwitterte, weltweit operierende Abhörsystem ECHELON betreibt.[8]

Auf die o.g. Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen vom 25. Juli wiegelt die Bundesregierung ab: Die Eingliederung der Fernmeldeaufklärung des BND sei „nicht beabsichtigt“. Es gäbe aber Überlegungen „zur Konvergenz von Methoden der inländischen und internationalen TKÜ“. Diesbezügliche Synergiemöglichkeiten hält das BMI für „sinnvoll“. An der NSA und dem GCHQ findet die Bundesregierung die „Bündelung komplizierter Technik und hochqualifiziertem Personal“ interessant. Deren „organisatorischer Aufbau“ bzw. „Einbettung in die jeweilige Sicherheitsarchitektur“ seien jedoch nicht auf Deutschland übertragbar. Insgesamt konnten die Überlegungen des BMI über die Errichtung einer neuen TKÜ-Behörde nicht geleugnet werden – allerdings „liegen im BMI [hierzu] keine Konzepte vor.“

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, zeigte sich bereits frühzeitig besorgt über diese Pläne des BMI. Er sieht die Gefahr, „dass diese Daten letztendlich doch zusammenlaufen könnten“. Denn, selbst wenn unterschiedliche Zugriffsbegrenzungen festgelegt würden, wäre allenfalls eine Software-Änderung nötig, um die Daten zu verknüpfen: „Viele Erfahrungen belegen, dass, wenn solche Möglichkeiten gegeben sind und sich eine entsprechende Änderung der politischen Großwetterlage ergibt, dass dann diese Informationen zusammengeführt würden.“[9]

Mark Holzberger, Berlin, Referent für Flüchtlings- und Migrationspolitik in der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen und Mitglied der Redaktion von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.
[1] Holzberger, M.: Unsere Visitenkarte: Deutsche und europäische Visumspolitik, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 89 (1/2008), S. 41-51 (48)
[2] vgl. die Antwort auf die Kl. Anfrage v. B 90/Die Grünen, BT-Drs. 16/9544 v. 11.6.2008, S. 6-8
[3] Im BVA sind hiervon betroffen: das Ausländerzentralregister (mit dem Teilverfahren SIS), das automatisierte Sichtvermerksverfahren (mit den Bestandteilen Visa Datei, Visa Dezentral und Visa Online), der Biometrieserver des BVA sowie das VIS.
[4] vgl. die Antwort auf die Kl. Anfrage v. B 90/Die Grünen, BT-Drs. 16/9987 v. 15.7.2008
[5] Alle hier verwandten Angaben stammen – wenn nicht anders erwähnt – aus der Kleinen Anfrage von B 90/Die Grünen, BT-Drs. 16/10050 v. 25.7.2008.
[6] vgl. Focus v. 12.11.2007; Der Spiegel Nr. 21/2008 v. 19.5.2008, S. 30
[7] s. die Antwort auf die Kl. Anfrage der Links-Fraktion, BT-Drs. 16/7436 v. 7.12.2007, S. 4
[8] vgl. den ECHELON-Bericht des nichtständigen Ausschusses des Europäischen Parlaments vom 11.7.2001 (A5-0264/2001)
[9] taz v. 21.12.2007

Bibliographische Angaben: Holzberger, Mark: Überwachen statt schnarchen. Das Bundesverwaltungsamt mausert sich zur Schnittstelle für Polizei und Geheimdienste, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 90 (2/2008), S. 62-65

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