Schlagwort-Archive: NS-Vergan­genheit

Bandenkampf und blinde Flecken – Der Gebrauch von „Geschichte“ in der Polizei

von Michael Sturm

Die polizeiliche Historiografie war während Jahrzehnten eine biedere Hausgeschichtsschreibung, die mehr verschleierte als erhellte. Diese Haltung scheint heute einer neuen Offenheit zu weichen. Für das gegenwärtige Selbstverständnis, die Handlungsmuster und Einsatzkonzepte bleibt die Auseinandersetzung vor allem mit der NS-Vergangenheit jedoch folgenlos.

„Vorbehaltlos“ aber weitgehend inhaltsleer waren die Bekenntnisse zur parlamentarischen Demokratie, die die Polizei nach 1949 in Fachzeitschriften, Präambeln von Ausbildungshandbüchern oder Ansprachen bei der Vereidigung von Bereitschaftspolizeieinheiten ablegte. Die Spuren der kommunalen und nicht-militarisierten Polizeikonzepte, die die britischen und amerikanischen Besatzungsmächte – wenn auch vielfach nur halbherzig – zu installieren versucht hatten, waren schnell beseitigt. Nachdem die Polizeigewalt wieder in deutschen Händen war, bemühte man sich um eine Restauration des preußisch-deutschen Polizeimodells. Bandenkampf und blinde Flecken – Der Gebrauch von „Geschichte“ in der Polizei weiterlesen

Alte Charlottenburger – Ein Netzwerk in Westdeutschland

von Stephan Linck

Ein Netzwerk ehemaliger Beamter des Reichskriminalpolizeiamtes dominierte bis in die 60er Jahre die Personalpolitik und Ideologie der westdeutschen Kripo.

Im September 1971 versandte Fritz Kempe das Rundschreiben 6/71 des Stammtischs der „Alten Charlottenburger“. Der Kreis, dem zu diesem Zeitpunkt noch 92 Personen – alle im Alter zwischen 59 und 69 Jahren – angehörten, war vermutlich schon in den 50er Jahren entstanden und traf sich einmal im Monat in einem Düsseldorfer Lokal. Seine Mitglieder verband aber nicht nur die kneipenselige Freizeitgestaltung. Der Name „Alte Charlottenburger” bezog sich vielmehr auf ihre ehemalige Ausbildungsstätte in Berlin-Charlottenburg: Die meisten hatten in der zweiten Hälfte der 30er Jahre Lehrgänge zum Kriminalkommissar am dortigen Polizei-Institut absolviert, das 1937 in Führerschule der Sicherheitspolizei umbenannt wurde. Sie grenzten sich zwar vom Korpsgeist her von ihren ebenfalls dort ausgebildeten Gestapo-Kollegen ab, waren jedoch im Regelfall gleichwohl überzeugte Nationalsozialisten. Die meisten wurden, wenn sie es nicht schon waren, während der Ausbildung SS-Mitglieder.[1] Alte Charlottenburger – Ein Netzwerk in Westdeutschland weiterlesen

Polizisten als Geschichtsschreiber – Verschweigen, verharmlosen und vernebeln

von Martin Schauerhammer, Norbert Pütter und Jan Wörlein

Wenn Polizisten sich mit der Geschichte des eigenen Berufes und der eigenen Behörde befassen, leisten sie auch einen Beitrag zum Selbstbild der Profession. Aber wie löst man diese Aufgabe, wenn die jüngste Vergangenheit von Verschleppung, Folter und Massenmord bestimmt ist?

Runde und halbrunde Jubiläen sind auch für Polizeibehörden und ihre RepräsentantInnen willkommene Anlässe des Rückblicks. Hier eine exemplarische Auswahl: 1973 würdigten vier Berliner Polizisten den 125-jährigen Geburtstag der „Berliner Schutzmannschaft“ mit einer 96-sei­tigen Festschrift.[1] In den zehn Textseiten, die der nationalsozialistischen Phase gelten, erwähnen sie zwar, dass mehr als 2.600 der insgesamt 85.000 preußischen Polizisten nach der „Machtergreifung“ die Polizei verlassen mussten. Darüber, was die verbliebenen Schutzpolizisten taten, erfahren die LeserInnen jedoch nur wenig: Die Umorganisation des Apparates, der Wechsel der Uniformfarbe werden benannt, die Probleme des zunehmenden Straßenverkehrs nehmen einen vergleichsweise breiten Raum ein. Polizisten als Geschichtsschreiber – Verschweigen, verharmlosen und vernebeln weiterlesen

Dunkle Vergangenheit, lichte Gegenwart – Vergangenheitspolitik der bundesdeutschen Polizei

Die Sicherheitsorgane waren essentieller Teil der NS-Herrschaft und ihrer Vernichtungsmaschinerie. Sechzig Jahre nach Gründung der BRD wird dieses Wissen auch innerhalb der Polizei (fast) allgemein geteilt. Es bleibt allerdings folgenlos.

Als im Herbst 2001 Dieter Schenks Buch über die „braunen Wurzeln“ des Bundeskriminalamts (BKA) erschien, wollte die PDS-Abgeordnete Ulla Jelpke von der Bundesregierung wissen, ob sie die in diesem Band erhobene Kritik teile, „dass das BKA zu Fragen nach der nationalsozialistischen Vergangenheit … leitender Mitarbeiter noch nie Stellung bezogen hat und sich damit bis heute nicht von diesen distanziert und für diese entschuldigt hat, zumal diese nie ein Wort des Bedauerns oder der Reue gezeigt haben?“ Eigentlich handelte es sich dabei um eine harmlose Frage, die die aktuelle Institution BKA und ihre Funktionen nicht in Frage stellte. Die betreffenden Personen waren ohnehin längst pensioniert und zumeist verstorben. Dunkle Vergangenheit, lichte Gegenwart – Vergangenheitspolitik der bundesdeutschen Polizei weiterlesen

Braune Wurzeln – Der lange Weg des BKA zur eigenen Geschichte

Interview mit Dieter Schenk

„Das BKA hat keine nationalsozialistische Vergangenheit“, erklärte die Bundesregierung noch 2001, als Dieter Schenks Buch über die „braunen Wurzeln“ des Bundeskriminalamts erschien. Sechs Jahre später nahm das Amt mit drei Kolloquien endlich den Anlauf, sich seiner Geschichte zu stellen.[1]

Herr Schenk, was war der Anlass für Ihr Buch über die braunen Wurzeln des BKA?

Ich war von 1981-89 beim BKA. In dieser Zeit habe ich zwar immer wieder von den „Charlottenburgern“ gehört. Das seien Altvordere des Amtes gewesen, die aus der NS-Zeit belastet waren. „Charlottenburger“ hießen die deshalb, weil der Kern dieser Gruppe einen gemeinsamen Kommissarslehrgang an der SS-Führerschule in Charlottenburg absolviert hatte. Wenn ich mehr über diesen Kreis wissen wollte, konnte oder wollte man mir nichts sagen; über diesen Leuten lag ein Grauschleier. Als ich dann Mitte der 90er Jahre mit der Biografie über Horst Herold begann, wollte ich den „Charlottenburgern“ auch ein Kapitel widmen, weil sie schließlich zur Geschichte des BKA gehören. Ich habe dann in Erfahrung gebracht, dass es von Paul Dickopf, Herolds Vorgänger als BKA-Präsident, einen umfangreichen Aktennachlass gibt. Dickopf starb 1973. Er hat alles mögliche penibel gesammelt – das sind 68 Bände im Bundesarchiv in Koblenz. Braune Wurzeln – Der lange Weg des BKA zur eigenen Geschichte weiterlesen