Schusswaffengebrauch neu sortiert: CILIP-Webseite zu tödlichen Polizeischüssen ab 1976

von Johannes Filter und Matthias Monroy

Auffällig viele Menschen werden von der Polizei in ihrer eigenen Wohnung getötet, in vielen Fällen befanden sich die Betroffenen in einer psychischen Ausnahmesituation. Früher trugen die Getöteten häufiger selbst eine Schusswaffe, heute sind es eher Stichwaffen. Diese und andere Informationen lassen sich aus einer datenjournalistischen Aufbereitung unserer jährlichen Todesschuss-Statistik ablesen.

Das größte Risiko, in Deutschland von einer Polizeikugel tödlich getroffen zu werden, besteht in Hamburg und Hessen. Insgesamt ist Berlin mit 28 Opfern die tödlichste Stadt. Am häufigsten betroffen sind 25-jährige Männer, gefährlichster Monat ist der Dezember. Auch eine Häufung an einzelnen Wochentagen ist erkennbar, es überwiegt der Donnerstag und der sechste Tag im Monat. Am Wochenende sterben weniger Menschen durch den polizeilichen Schusswaffengebrauch, dort fällt ebenso die Beteiligung von Spezialeinheiten an den tödlichen Einsätzen deutlich geringer aus.

Die Schlussfolgerungen ergeben sich aus jährlichen Statistiken unserer Zeitschrift, die wir jetzt neu sortieren und darstellen.[1] Seit 1976 zählt die CILIP tödliche Polizeischüsse und gleicht diese mit anderen Informationen ab.[2] Im Auftrag der Ständigen Konferenz der Innenminister*innen und -senator*innen der Länder (IMK) erstellt die Deutsche Hochschule der Polizei (DHPol) eine jährliche Schusswaffengebrauchsstatistik, die im Frühjahr oder spätestens im Sommer des Folgejahres abgeschlossen und auf Anfrage herausgegeben wird.[3] Neben Warnschüssen unterscheidet die Übersicht zwischen dem Gebrauch gegen Tiere, Sachen und gegen Personen. Eine weitere Kategorie ist der unzulässige Schusswaffengebrauch, darunter auch gegen Unbeteiligte. Gezählt werden schließlich auch Verletzte und Tote.

Seit dem Fall der Mauer wurden 307 Menschen von der deutschen Polizei erschossen, von 1976 bis 1990 zählen wir weitere 146 Opfer in Westdeutschland. Mit unserer neuen Übersicht können wir die These stützen, dass eine beträchtliche Zahl von psychisch beeinträchtigten Menschen Opfer von Polizeischüssen werden. In rund einem Fünftel aller Fälle finden wir entsprechende Hinweise; viele der Betroffenen werden dabei in ihrer eigenen Wohnung getötet, etwa wenn sie als Reaktion auf das polizeiliche Eindringen oder im Gefühl des Bedrohtseins plötzlich zu einem Messer greifen. In einer Mehrzahl der Fälle ist das polizeiliche Gegenüber bewaffnet, heutzutage allerdings eher mit einer Stich- und seltener mit einer Schusswaffe. Sichtbar wird auch, dass im letzten Jahrhundert häufiger bei Banküberfällen geschossen wurde.

Wir zählen alle Fälle, in denen Menschen durch eine Polizeikugel gestorben sind. Aufgeführt ist jedoch nur die dienstliche Verwendung der Waffen. Deshalb beziehen wir die zahlreichen „erweiterten Suizide“, in denen Polizisten zuvor Partnerinnen oder Angehörige töten, nicht ein. Ebenfalls nicht gezählt sind Situationen, in denen dies außerhalb des Dienstes erfolgt. Dies betrifft mindestens zwei Fälle von 1986 und 1995, in denen Polizisten zur Aushilfe an einer Tankstelle arbeiteten und bei einem Überfall ihre Dienstwaffe eingesetzt haben.

Die Todesschüsse recherchiert unser Redakteur Otto Diederichs gewöhnlich in der Presse. Früher erfolgte dies durch die Sichtung von gedruckten Tageszeitungen, heute ausschließlich im Internet. Die Medienberichte sind mit Vorsicht zu genießen, denn oft überwiegt darin die Darstellung und mithin die Sichtweise der Polizei.

Weitere Details erfragen wir anschließend bei den zuständigen Polizeibehörden oder Staatsanwaltschaften. Manchmal müssen wir dann Fälle ergänzen, die uns nicht bekannt wurden. Mitunter korrigieren wir unsere Zählung auch, etwa wenn die von uns gezählten Todesschüsse lediglich zu einer schweren Verletzung geführt haben. Einige Fälle haben wir womöglich auch nicht korrekt dargestellt, z. B. wenn in späteren Untersuchungen neue Sachverhalte bekannt wurden.

Diskrepanzen zur polizeilichen Zählung ergeben sich, wenn die staatsanwaltlichen Ermittlungen zur Todesursache nach einem Schusswaffengebrauch nicht abgeschlossen sind. Dann werden die Fälle als „offen“ bewertet, sie tauchen also in der offiziellen Jahresstatistik nicht als „Tote“ auf. Dies hat die DHPol erst ab 2014 mit der neuen Rubrik „noch nicht klassifizierte Fälle (Folgen)“ berücksichtigt.

Für die Visualisierung haben wir die Fälle nach Hinweisen auf eine psychische Ausnahmesituation der Opfer durchsucht und markiert. Uns haben auch Schussabgaben innerhalb und außerhalb von Gebäuden interessiert, nicht immer ließ sich dies jedoch rekonstruieren.

Unsere Fallbeschreibungen sind erst mit den Jahren umfangreicher geworden. So bleibt etwa das Geschlecht der Getöteten bis zum Jahr 1982 häufig offen. In der neuen Übersicht haben wir ab der Jahrtausendwende Online-Quellen nachgetragen. Nachweise zu den früheren Ereignissen finden sich in unserem Zeitungsarchiv, in das wir auf Anfrage gern Einblick gewähren.

Tod durch Taser

Seit 2021 sammeln wir auch Todesfälle durch den polizeilichen Einsatz von Tasern (technisch „Elektroimpuls-Distanzwaffen“). Bis vor einigen Jahren waren lediglich Spezialeinheiten damit ausgerüstet. In einigen Bundesländern ist dies bereits auf „geschlossenen Einheiten“ der Landespolizei ausgeweitet (Bayern), in anderen gehören die Geräte zur „Grundausstattung“ mehrerer Polizeipräsidien (Nordrhein-Westfalen, Hessen, Saarland). In Rheinland-Pfalz hat angeblich „jeder Streifenwagen“ einen Taser an Bord.[4]

Die Taser-Statistik stellen wir gesondert dar, denn die Elektroschocks führen zu deutlich anderen Todesursachen als Munition aus Schusswaffen. Die Opfer sterben an Herz- oder Kreislaufstillstand, Organversagen oder sie ersticken an Erbrochenem. Unsere Liste zeigt, dass bislang fast alle Opfer innerhalb von Gebäuden getasert werden. Bei allen Getöteten lassen die Presseberichte auf eine psychische Ausnahmesituation bzw. Drogenkonsum schließen.

[1]   https://polizeischuesse.cilip.de
[2]   vgl. www.cilip.de/category/polizeiliche-todesschuesse. 2017 haben Erik Peter und Svenja Bednarczyk in der taz eigene Recherchen zu unserer Sammlung angestellt (https://web.archive.org/web/20210129215547/https:/taz.atavist.com/polizeitote). Auch Clemens Lorei dokumentiert den polizeilichen Schusswaffengebrauch in Deutschland auf seiner Webseite (http://schusswaffeneinsatz.de) und beruft sich dabei oft auf die CILIP. Die Kampagne „Death in Custody“ (https://doku.deathincustody.info) sammelt zudem Informationen zu Todesfällen von Schwarzen Menschen, People of Color und von Rassismus betroffenen Personen in Gewahrsam sowie durch Polizeigewalt im Allgemeinen.
[3]   https://polizeischuesse.cilip.de/statistik
[4]   Zur Einführung von Tasern bei deutschen Polizeien siehe den Artikel von Volker Eick in diesem Heft, S. 26.

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