von Udo Kauss
Das Verbot von linskunten.indymedia.org hat Auswirkungen auf die studentische Selbstverwaltung (VS) der Universität Freiburg. Zufällig ist ein Sicherheits-Backup der VS der Polizei in die Hände gefallen – was die Sicherheitsbehörden als willkommene Gelegenheit sehen, das gesamte Leben der studentischen Selbstverwaltung auf Bezüge zu der verbotenen Internetplattform auszuwerten. Verhindert wurde dies bisher nur durch die noch nicht überwundene Verschlüsselung der Daten.
Am 25. August 2017 fanden im Zuge des Verbots der Internetplattform linksunten.indymedia.org Wohnungsdurchsuchungen bei fünf in Freiburg wohnenden Personen statt, die vom Bundesminister des Innern (BMI) als Mit-Verantwortliche der Internetplattform bezeichnet werden.
Grundlage war ein Beschluss des Verwaltungsgerichts (VG) Freiburg vom 21. August 2017, wonach deren Wohnungen zu durchsuchen und „aufgefundene Gegenstände, Unterlagen, Dokumente und Druckwerke, … die als Beweismittel für das vereinsrechtliche Ermittlungsverfahren gegen den Verein linksunten.indymedia.org von Bedeutung sein können“, zu beschlagnahmen seien.
Dabei wurde eine Vielzahl von Datenträgern beschlagnahmt, darunter auch eine Backup-Festplatte des Servers des Verfassten Studierendenschaft (VS) der Uni Freiburg sowie ein ebenfalls der VS gehörender USB-Stick. Nach Einbrüchen in die Räume der VS hatten angestellte MitarbeiterInnen, darunter einer der von der Durchsuchung Betroffenen, die Datenträger aus Sicherheitsgründen abwechselnd bei sich zu Hause aufbewahrt.
Nachdem das ausführende Landeskriminalamt (LKA) Baden-Württemberg und das Regierungspräsidium Freiburg von der VS in Kenntnis gesetzt worden waren, dass die beschlagnahmten Datenträger Eigentum der VS seien, und dass die VS im Übrigen nichts mit der verbotenen Internetplattform zu tun hätte, wurden die Originaldatenträger nach vier Wochen wieder an die VS zurückgegeben.
Auf Nachfrage des inzwischen eingeschalteten Anwalts teilte das Regierungspräsidium mit, dass von den Datenträgern „Sicherheitskopien“ angefertigt worden seien, da man sich auf diese Weise vor dem Vorwurf einer zwischenzeitlichen Manipulation der Datenträger und der sich darauf befindlichen Daten schützen wolle. Die daraufhin von der VS sofort angestellte Überprüfung der zurückgegebenen Datenträger ergab, dass die Datenträger ohne jede Manipulation zurückgegeben worden waren. Weil damit der Grund für die Anfertigung von „Sicherungskopien“ entfallen war, erbat die VS nun auch deren Rückgabe und die Zusicherung, dass von den gegebenenfalls erlangten Daten der Datenträger kein Gebrauch gemacht werde.
Erst nach Androhung gerichtlicher Schritte durch den Anwalt der VS reagierte das Regierungspräsidium. Aus dem Schreiben vom 26. Oktober 2017 wurde denn auch der wahre Grund für die Anfertigung von „Sicherungskopien“ und deren Nichtherausgabe ersichtlich. Dort heißt es nämlich, das BMI habe
„mitgeteilt, dass eine Auswertung der in Rede stehenden Daten aufgrund der teilweisen Kryptierung bislang nicht erfolgen konnte. Die Beschlagnahme der beiden Datenträger ist durch den entsprechenden Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss des VG Freiburg … gedeckt, da nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass die Daten Belege über die Zugehörigkeit von X. zum Verein ‚linksunten.indymedia‘ und/ oder über die Aktivitäten des Vereins enthalten. Die Daten könnten daher für das laufende Verfahren gegen die Verbotsverfügung vor dem Bundesverwaltungsgericht von Bedeutung sein … Sobald die Auswertung der Daten erfolgt ist, werden wir wieder auf Sie zukommen.“
In den 15 Monaten von der Beschlagnahme im August 2017 bis zum Redaktionsschluss dieser Zeitschrift ist den Sicherheitsbehörden die Entschlüsselung noch nicht gelungen. Daran wird unter anderem beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) gearbeitet.[1]
VS: eine Körperschaft des öffentlichen Rechts
Die VS ist nach dem Landeshochschulgesetz Baden-Württemberg (LHG) eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und eine Gliedkörperschaft der Universität Freiburg. Sie nimmt die in § 65 LHG bestimmten vielfältigen Aufgaben der studentischen Selbstverwaltung wahr, unter anderem: die Förderung der politischen Bildung, der Chancengleichheit und der Integration ausländischer Studierender, die Pflege der überregionalen und internationalen Studierendenbeziehungen sowie des Meinungsaustauschs unter den Studierenden. Wobei insbesondere auch zu solchen Fragen Stellung zu beziehen ist, die sich mit der gesellschaftlichen Aufgabenstellung der Hochschule, der Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse und der Abschätzung ihrer Folgen beschäftigen. Hierzu war der Studierendenschaft 2014 ausdrücklich ein politisches Mandat eingeräumt worden, das allerdings mit der Novellierung des LHG vom März 2018 wieder kassiert worden ist.
Die Festplatte
Auf der Backup-Festplatte finden sich unter anderem
- die Daten aller 25.000 Studierenden der Uni Freiburg in Form von WählerInnenverzeichnissen mit Adressen, Geburtsdaten, Angaben der Fachrichtung(en), Semesterzahl
- die kompletten Personal- und ArbeitnehmerInnendaten der VS, sämtliche Lohnabrechnungen mit Kontakten und Kontodaten, die Daten aller ReferentInnen und Angestellten seit der Wiedereinführung der Verfassten Studierendenschaft im Jahr 2013
- Protokolle und Schriftwechsel mit dem Akademischen Senat in Personalfragen wie der Berufung/Nichtberufung von ProfessorInnen, die Korrespondenzen mit dem Rektorat, die Korrespondenzen und Protokolle der Arbeitskreise der jeweiligen Fachbereiche (Studienkommissionen der Fakultäten, Fakultätsräte, Fachschaften)
Auf diesem Wege würden der Innenminister und die ermittelnden Behörden sogar Kenntnis von allen Unterlagen erhalten, die im laufenden Prozess gegen die von der Landesregierung eingeführten Studiengebühren angefallen sind.
Weiter befinden sich auf der Festplatte Datenarchive aus der Zeit vor 2013, die zum Teil 15 Jahre zurückreichen, unter anderem mit Bilddokumentationen universitärer Proteste wie zum Beispiel Rektoratsbesetzungen. Kurz: Das Backup enthält das gesamte studentische Innenleben der Universität Freiburg und seiner studentischen Selbstverwaltung.[2] Das Datenvolumen des Backup beträgt circa 750 Gigabyte.
Verfassungsschutz mit der Auswertung beauftragt
Durch ihre juristische Gegenwehr erfuhren die Studierenden auch, wer sich so alles an dem von der Polizei beschlagnahmten Backup zu schaffen gemacht hatte und noch macht. Wie viele Kopien angefertigt worden sind, darüber hüllen sich die Behörden in Schweigen. Sicher ist: Die am 25. August 2017 beschlagnahmten Datenträger wurden sogleich ans LKA Stuttgart und an das BMI in Berlin gegeben. Vier Tage später, am 29. August 2017, hat das BMI das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) mit der Einrichtung einer Projektgruppe beauftragt, um die laut BMI insgesamt 200 beschlagnahmten Datenträger mit geschätzten 40 Terabyte auszuwerten. Als Ziele nennt das BMI „prioritär die Erkenntnisverdichtung für das zu erwartende Verwaltungsstreitverfahren“. Weitere Ziele seien „die systematische Aufklärung der Vereinsstruktur sowie die Erkenntnisgewinnung für die vermögensmäßige Liquidierung des Vereins …, welche das BfV federführend übernehmen wird.“
Die Reaktion der Studierenden
Katharina Krahé und Phillip Stöcks, beide Vorstände des Studierendenrates (StuRa), sehen das Vertrauen der Studierenden in den Schutz der hochschulpolitischen Arbeit und der hierbei anfallenden Daten erheblich beschädigt. Um die geheimdienstliche Auswertung zu verhindern, hat das Studierendenparlament im Januar 2018 seinen Vorstand aufgefordert, alle gegebenenfalls auch gerichtlichen Schritte zu unternehmen, um die pauschale Überprüfung der Studierendendaten durch Polizei und Verfassungsschutz zu verhindern, zumal keinerlei konkreten Verdächte bestehen.[3]
Im November 2017 beantragte die VS im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes den sofortigen Stopp der Auswertung – und zwar einerseits beim Verwaltungsgericht Freiburg und andererseits – wegen der örtlichen Zuständigkeit für das BMI – auch beim Verwaltungsgericht Berlin. Im Februar beziehungsweise April lehnten beide Gerichte diese Forderung ab.[4] Das VG Freiburg gesteht zwar zu, dass es „nicht naheliegend“ erscheine, dass auf der Festplatte Daten zu finden seien, die für das Verbot von linksunten.indymedia.org von Bedeutung sein könnten. Aber weil es dennoch „nicht ausgeschlossen“ und damit „im Bereich des Möglichen“ liege, dürften die Daten der VS und damit aller Studierenden ausgewertet werden.
Außerdem sei es „ein vergleichsweise geringer Eingriff“, so dass die Datenschutzinteressen der Studierenden hinter dem exekutiven Interesse an dem Verbot der Internetplattform zurückzustehen haben. Und: „Die Sachlage ist insoweit nicht anders als sie bei aufgefundenen Unterlagen in Papierform wäre.“ Das Gericht setzte damit nicht Vergleichbares gleich. Es sollte ein grundsätzlicher, auch rechtlicher Unterschied sein, ob einige, auch umfängliche Papierakten durchzusehen sind oder die Daten der gesamten Verfassten Studierendenschaft einer Universität zum Gegenstand der Durchsicht gemacht werden. Zusätzlich ist zu bedenken: Das Verbot der Internetplattform war bereits mit einer immerhin 90 Seiten starken und umfänglichen Begründung ausgesprochen worden. Solche nachträglichen Ermittlungen werden deshalb nur im begründeten Ausnahmefall für zulässig gehalten. Daran fehlt es hier vollständig. Gegen beide Entscheidungen hat die VS Beschwerden beim Verwaltungsgerichtshof Mannheim (VGH) bzw. beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg erhoben. Beide Entscheidungen stehen noch aus.
Hoffnung gibt eine am 20. Juni 2018 ergangene Entscheidung des VGH: Auf Antrag der von den Durchsuchungen und Beschlagnahmen am 25. August 2017 betroffenen fünf Personen hat der VGH letztinstanzlich und damit rechtskräftig festgestellt, dass die pauschale Beschlagnahme aller aufgefundenen rund 200 Datenträger rechtswidrig gewesen sei. Der zugrunde liegende Beschluss des VG Freiburg wurde aufgehoben. Nur das Betreten und Durchsuchen der Wohnungen hat der VGH für zulässig gehalten.[5] Das hat jedoch die Sicherheitsbehörden nicht angefochten.
Die Aufforderung, nun die beabsichtigte Auswertung des Backup der VS sofort einzustellen, lehnten das Stuttgarter Innenministerium und das BMI mit der gleichen Begründung ab: Man wolle die Datenträger nur „durchsuchen“ und deren Daten auf Brauchbarkeit auswerten, nicht aber die im Übrigen schon zurückgegebenen Datenträger zusätzlich „beschlagnahmen“.
Ein rechtlicher Präzedenzfall
Damit hat der Rechtsstreit in mehrfacher Hinsicht die Qualität eines rechtlichen Präzedenzfalles erreicht. Zentral sind dabei folgende Punkte:
- Darf ein Datenträger, der nur zufällig in die Hände der Sicherheitsbehörden gefallen ist, allein mit der Begründung durchsucht und ausgewertet werden, dass es „nicht ausgeschlossen“ sei, dass sich darauf Daten von Interesse für die Sicherheitsbehörden befänden? Dies könnte überhaupt nur dann zulässig sein, wenn Anhaltspunkte dafür bestünden, dass der betreffende Mitarbeiter der VS eigene Dateien mit Bezug zu linksunten.indymedia.org auf dem fremden Datenträger gespeichert hätte, um sie so dem Zugriff der Sicherheitsbehörden zu entziehen. Keinesfalls sollte ein nur hypothetisch angenommener Sachverhalt, wonach etwas „nicht ausgeschlossen“ ist, einen exekutiven Eingriff jenseits der gegebenen Befugnisse begründen können. Mit dieser Begründung gäbe es keinen Schutz mehr vor sicherheitsbehördlichem Zugriff.
- Darf ein Durchsuchungsbeschluss, der nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts längstens sechs Monate Geltung hat, nach nun 14 Monaten noch dazu herhalten, eine Durchsuchung von rechtswidrig beschlagnahmten Datenträgern zu begründen?
- Der Sache nach handelt es sich bei der beabsichtigten Auswertung des Backup um eine Auswertung nach bestimmten Merkmalen, und damit um einen Vorgang, der in der Strafprozessordnung (§ 98a StPO) den Namen „Maschineller Abgleich“ trägt, besser bekannt als Rasterfahndung. Die Ermittlungsbefugnisse der Polizei bei Verboten nach dem Vereinsgesetz – wie hier im Falle „linksunten.indymedia.org“ – schließen jedoch den „maschinellen Abgleich“ ausdrücklich aus (§ 4 Abs. 4 Satz 1 Vereinsgesetz). Diese Befugnis ist der Ermittlung schwerer Straftaten vorbehalten.
- Mit der Weiterleitung der von der Polizei beschlagnahmten Datenträger an den Verfassungsschutz wird gegen das verfassungskräftige Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten verstoßen. Diese Lehre aus den Erfahrungen mit der Gestapo (Geheime Staatspolizei) unter der Nazi-Herrschaft war Gegenstand des „Polizeibriefs“ der Alliierten an den Parlamentarischen Rat und ist seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes 1949 Bestandteil unserer Rechtsordnung. Es verbietet den Geheimdiensten, namentlich dem Bundesamt für Verfassungsschutz, von polizeilichen Exekutivbefugnissen wie Durchsuchung und Beschlagnahme Gebrauch zu machen. Was hier geschieht, polizeiliche Beschlagnahme und dann sofortige Weitergabe an den Inlandsgeheimdienst, ist eine grundgesetzlich verbotene Arbeitsteilung. Das hat das Bundesverfassungsgereicht in seinem Urteil zum Anti-Terror-Datei-Gesetz erneut klargestellt.[6]
- Und jenseits aller rechtlichen Detailfragen: Ist es verhältnismäßig, die Daten der Studierenden einer gesamten Universität durch die Sicherheitsbehörden, hier sogar durch den Inlandsgeheimdienst, auswerten zu lassen – nur auf die bloße Annahme hin, es sei etwas nicht ausgeschlossen und in der pauschalen Erwartung, es würden sich dort für das bereits ausgesprochene und mit einer ausführlichen Begründung ausgestattete Verbot der Internetplattform zusätzliche Begründungen finden lassen? Hier stehen die gesetzlich geschützten Interessen der Studierenden und ihrer Selbstverwaltung einer exekutiven Spekulation gegenüber.