von Michael Lippa
Mit der Einführung des Begriffs der „drohenden Gefahr“ im Polizeiaufgabengesetz verließ Bayern als erstes Bundesland die bis dahin geltende Dogmatik der Gefahrenbegriffe im Polizeirecht und beruft sich dabei auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum BKA-Gesetz.[1] Ob dies so richtig ist, muss stark bezweifelt werden.
Die Polizeigesetze gehören klassischerweise zum Gefahrenabwehrrecht. Das traditionelle Gefahrenabwehrrecht bewegt sich im Spannungsverhältnis zwischen Eingriffen in die Grundrechte potenziell Betroffener auf der einen Seite und der Pflicht des Staates zum Schutz der Grundrechte auf der anderen Seite.[2] Schon der Begriff „Gefahren-Abwehr“ macht es deutlich: Keine Gefahr – keine Abwehr (durch Eingriff in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger)!
Ob eine Gefahr überhaupt vorliegt oder nicht, ist stets im Rahmen der Ermessensausübung durch eine auf Tatsachen beruhende Gefahrenprognose zu ermitteln. Auch wenn mittlerweile eine Vielzahl an qualifizierten Gefahrenbegriffen existiert, wird grundsätzlich zwischen einer konkreten und einer abstrakten Gefahr unterschieden.
Will die Polizei mit Abwehrmaßnahmen in die Freiheitssphäre Einzelner eingreifen, ist nach bisherigem Verständnis grundsätzlich das Vorliegen einer konkreten Gefahr erforderlich. Dies ist eine Sachlage, bei der im Einzelfall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ohne Eingreifen des Staates durch bestimmte Personen ein Schaden für die Schutzgüter der Norm verursacht wird. Die konkrete Gefahr wird also durch drei Kriterien bestimmt: den Einzelfall, die zeitliche Nähe des Umschlagens einer Gefahr in einen Schaden und den Bezug auf individuelle Personen als VerursacherInnen.[3] Diese Eingriffsschwelle dient also dazu, die Freiheitsrechte der Einzelnen vor willkürlichen Maßnahmen der Behörden zu schützen.
Hingegen liegt eine abstrakte Gefahr vor, wenn eine generell-abstrakte Betrachtung für bestimmte Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen zu dem Ergebnis führt, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden im Einzelfall einzutreten pflegt – und daher Anlass besteht, diese Gefahr mit generell-abstrakten Mitteln, also einem Rechtssatz (in Form einer Polizeiverordnung), zu bekämpfen. Der Schaden muss dabei regelmäßig und typischerweise, wenn auch nicht ausnahmslos, zu erwarten sein.[4] Da zwar typischerweise, aber nicht immer eine Gefahr vorliegt, werden hier höhere Anforderungen an die Gefahrenprognose gestellt als bei der konkreten Gefahr.
Während sich also die konkrete Gefahr auf den (konkreten) einzelnen Fall bezieht, bezieht sich die abstrakte Gefahr auf den (abstrakten) typischen Fall. Beiden Begriffen ist aber gemein, dass ein hinreichend konkretisierter kausaler Schaden mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eintreten muss. Die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts muss umso größer sein, je geringer der möglicherweise eintretende Schaden ist, und sie darf umso kleiner sein, je schwerer der etwaige Schaden wiegt.[5] Entsprechendes gilt für das Gewicht des zu schützenden Rechtsguts.
Schadensmöglichkeiten, die sich nicht ausschließen lassen, weil nach dem derzeitigen Wissensstand bestimmte Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch verneint werden können, begründen hingegen keine Gefahr, sondern lediglich einen Gefahrenverdacht oder ein „Besorgnispotential“.[6] Es fehlt also die Tatsachenbasis für eine entsprechende Prognose über den Kausalverlauf. Da in solchen Fällen also eine konkrete Gefahr vorliegen kann, aber nicht muss, besteht grundsätzlich die Pflicht der Polizei, sich auf sogenannte Gefahrerforschungseingriffe zu beschränken, um die Tatsachen für die Gefahrenprognose zu ermitteln. Ein solcher Gefahrenverdacht wird in den Polizeigesetzen nicht erwähnt. Maßnahmen zur Gefahrerforschung können jedoch in der Regel an der Formulierung „wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen“ erkannt werden. So weit, so gut.
Die neue Gefahrenklasse
Mit dem zum 1. August 2017 in Kraft getretenen „Gesetz zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen“ führte Bayern in Art. 11 Abs. 3 seines Polizeiaufgabengesetzes (PAG) eine neue Befugnisgeneralklausel ein. Danach kann die Polizei in einer Vielzahl unbestimmter Fälle
„die notwendigen Maßnahmen treffen, um den Sachverhalt aufzuklären und die Entstehung einer Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut zu verhindern, wenn im Einzelfall
- das individuelle Verhalten einer Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet oder
- Vorbereitungshandlungen für sich oder zusammen mit weiteren bestimmten Tatsachen den Schluss auf ein seiner Art nach konkretisiertes Geschehen zulassen,
wonach in absehbarer Zeit Angriffe von erheblicher Intensität oder Auswirkung zu erwarten sind (drohende Gefahr)“.
Neu ist der Begriff der drohenden Gefahr zwar nicht. Er ist jedoch bisher aus zwei gänzlich anderen Zusammenhängen bekannt. Tatsächlich ist die drohende Gefahr bereits im Jahre 1896 in § 228 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) aufgenommen worden. Heute trägt die Norm die Überschrift „Notstand“ und berechtigt zur Beschädigung und Zerstörung von fremden Sachen, um eine drohende Gefahr von sich oder einer anderen Person abzuwenden. Nach der aktuellen Kommentierung liegt eine solche drohende Gefahr vor, wenn eine auf Umständen gegründete Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Schadens besteht.[7] Damit wird im Grunde genommen lediglich verkürzt der Begriff der konkreten Gefahr wiedergegeben.
Auch aus einem anderen Zusammenhang, der dem Gefahrenabwehrrecht näher steht als das Zivilrecht, ist der Begriff der „drohenden Gefahr“ seit 1968 bekannt. Nach § 1 Abs. 1 Nr.1 des Artikel 10-Gesetzes sind die drei Nachrichtendienste des Bundes zur Abwehr drohender Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes berechtigt, die Telekommunikation zu überwachen und aufzuzeichnen sowie Post zu öffnen und einzusehen. Eine drohende Gefahr im Sinne des G10-Gesetzes soll gegeben sein, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für eine Sachlage bestehen, die sich zu einer Gefahr im polizeilichen Sinne verdichten könnte, wenn nicht Maßnahmen zu deren Verhütung unternommen würden. Damit ist hier Gefahrenvorbeugung gemeint.[8] Wir befinden uns also im Vorfeld der Gefahrenabwehr – der klassischen Geheimdiensttätigkeit.
Vergleicht man nunmehr die Legaldefinition des Art. 11 Abs. 3 PAG mit den hier erörterten Gefahrbegriffen, so wird man wohl die größte Überschneidung mit dem Gefahrenbegriff aus dem G10-Gesetz finden. Kurz gesagt, handelt es sich bei der „drohenden Gefahr“, um die Gefahr einer konkreten Gefahr im gefahrenabwehrrechtlichen Sinne.
Wo fing es an? Was ist passiert?
Mit der „Föderalismusreform“ von 2006 fügte der Gesetzgeber in den Art. 73 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) die Nr. 9a neu hinzu. Die bis dahin in alleiniger Landeskompetenz liegende Aufgabe der „Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus“ wurde damit auch dem Bundeskriminalamt (BKA) (mit)übertragen. Allerdings blieb zunächst unbeachtet, dass vermeintliche Vorbereitungshandlungen zu Straftaten in völlig harmlosen Zusammenhängen verbleiben können und daher keine konkrete Gefahr als Eingriffsschwelle für polizeiliches Handeln vorliegt. Da man sich also oft weit im Vorfeldbereich einer Gefahr befindet, wurde im Jahr 2008 das BKA-Gesetz (BKAG) angepasst. Dem BKA wurden zur Erfüllung der neuen Aufgabe eine ganze Palette von Ermittlungs- beziehungsweise Überwachungsnormen(!) an die Hand gegeben.
Im April 2016 erklärte das Bundesverfassungsgericht mit der oben erwähnten Entscheidung zum BKAG eine Vielzahl dieser Normen für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Dieses Urteil beziehungsweise lediglich die Randnummer 112 des Urteils bildet dabei die Begründungsgrundlage für den bayerischen Gesetzgeber.[9]
Hätte der bayerische Gesetzgeber das gesamte Urteil zur Kenntnis genommen, so wäre ihnen bereits die vorab erfolgte Stellungnahme des für Polizeirecht zuständigen 6. Senats des Bundesverwaltungsgerichts nicht entgangen, in dem das Leipziger Gericht darauf hinweist, dass für die Erfüllung polizeilicher Aufgaben im Vorfeld der Gefahrenabwehr die Bestimmtheitsanforderungen spezifisch an der Vorfeldsituation ausgerichtet sein müssen. Der Gesetzgeber hat für Grundrechtseingriffe eine spezielle Rechtsgrundlage mit handlungsbegrenzenden Tatbestandselementen zu schaffen.[10] Dieser Hinweis auf die bisherige Rechtsprechung schließt aber die Regelung von Vorfeldmaßnahmen über eine Generalklausel, welche eben nicht spezifisch und bestimmt an der Vorfeldsituation ausgerichtet ist, kategorisch aus.
Auch wäre sicherlich nicht entgangen, dass das Bundesverfassungsgericht explizit klarstellt, dass internationaler Terrorismus auf spezifisch charakterisierte Straftaten von besonderem Gewicht begrenzt ist. Diese Straftaten zielen auf eine Destabilisierung des Gemeinwesens und umfassen hierbei in rücksichtsloser Instrumentalisierung anderer Menschen Angriffe auf Leib und Leben beliebiger Dritter. Sie richten sich gegen die Grundpfeiler der verfassungsrechtlichen Ordnung und das Gemeinwesen als Ganzes. Die Bereitstellung von wirksamen Aufklärungsmitteln zu ihrer Abwehr ist ein legitimes Ziel und für die demokratische und freiheitliche Ordnung von großem Gewicht.[11] Bei Art. 11 Abs. 3 PAG kann jedoch weder von einer Begrenzung auf terroristische Straftaten noch auf die Bereitstellung von wirksamen Aufklärungsmitteln die Rede sein. Die Norm sieht neben der im Vorfeld durchaus berechtigten Aufklärungsbefugnisse zur Gefahrenerforschung explizit bereits auch Eingriffe in die Grundrechte Einzelner durch Abwehrmaßnahmen zur Verhinderung der Entstehung einer Gefahr in einer Vielzahl von unbestimmten Fällen vor. Dies stellt eine Abkehr vom traditionellen Gefahrenabwehrrecht dar, welches überhaupt eine Gefahr als eine Eingriffsschwelle voraussetzt und lediglich ausnahmsweise im Vorfeld informationelle Eingriffe zulässt, hin zu einem Gefahrenentstehungsverhütungsrecht, welches auch Zwangsmaßnahmen im Vorfeld vorsieht.
Kommen wir zum Kern des Problems, zu der bereits zuvor angesprochenen Randnummer 112 des Urteils. Hierbei muss man sich stets vergegenwärtigen, dass das Bundesverfassungsgericht vor dem Hintergrund der Abwehr terroristischer Straftaten Grundsätze für Maßnahmen der Vorfeldüberwachung aufstellt, keinesfalls für weitergehende Zwangsmaßnahmen.
„Der Gesetzgeber ist von Verfassung wegen aber nicht von vornherein für jede Art der Aufgabenwahrnehmung an die Schaffung von Eingriffstatbeständen beschränkt, die dem tradierten sicherheitsrechtlichen Modell der Abwehr konkreter, unmittelbar bevorstehender oder gegenwärtiger Gefahren entsprechen. Vielmehr kann er die Grenze für bestimmte Bereiche mit dem Ziel schon der Straftatenverhütung auch weiterziehen, in dem er die Anforderungen an die Vorhersehbarkeit des Kausalverlaufs reduziert. Allerdings müssen die Eingriffsgrundlagen auch dann eine hinreichende konkretisierte Gefahr in dem Sinne verlangen, dass zumindest tatsächliche Anhaltspunkte für die Entstehung einer konkreten Gefahr für die Schutzgüter bestehen. Allgemeine Erfahrungssätze reichen insoweit allein nicht aus, um den Zugriff zu rechtfertigen. Vielmehr müssen bestimmte Tatsachen festgestellt sein, die im Einzelfall die Prognose eines Geschehens, das zu einer zurechenbaren Verletzung der hier relevanten Schutzgüter führt, tragen … Eine hinreichend konkretisierte Gefahr in diesem Sinne kann danach schon bestehen, wenn sich der zum Schaden führende Kausalverlauf noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorhersehen lässt, sofern bereits bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall drohende Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut hinweisen. Die Tatsachen müssen dafür zum einen den Schluss auf ein wenigstens seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen zulassen, zum anderen darauf, dass bestimmte Personen beteiligt sein werden, über deren Identität zumindest so viel bekannt ist, dass die Überwachungsmaßnahme gezielt gegen sie eingesetzt und weitgehend auf sie beschränkt werden kann …“
Der erste Satz ließe vermuten, der Gesetzgeber sei generell nicht an das traditionelle gefahrenabwehrrechtliche Modell einer konkreten Gefahr als Eingriffsschwelle gebunden. Wie oben bereits beschrieben, wird die konkrete Gefahr durch die Kriterien des Einzelfalls, die zeitliche Nähe des Umschlagens einer Gefahr in einen Schaden und den Bezug auf individuelle Personen als VerursacherInnen bestimmt. Die Begriffe der unmittelbar bevorstehenden oder gegenwärtigen Gefahr modifizieren dabei den Begriff der konkreten Gefahr lediglich in dem Kriterium der zeitlichen Nähe des Umschlagens einer Gefahr in einen Schaden und bilden die Voraussetzung für Standardmaßnahmen mit Grundrechtseingriffen von besonderer Intensität. Es handelt sich somit weiterhin um eine lediglich für bestimmte Bereiche modifizierte konkrete Gefahr.
Liest man jedoch weiter, so stellt man fest: Es bleibt beim Modell der konkreten Gefahr als Eingriffsschwelle. Aber genauso, wie der Gesetzgeber für bestimmte Bereiche besonders intensiver Eingriffe die Grenze der konkreten Gefahr enger ziehen kann, kann er sie für andere Bereiche – hier die Straftatenverhütung auf dem Gebiet der Abwehr des internationalen Terrorismus – weiter ziehen, indem er ausnahmsweise die Vorhersehbarkeit des Kausalverlaufs modifiziert. Weiter stellt das Gericht klar, dass zumindest eine „hinreichend konkretisierte Gefahr“ weiterhin vorliegen muss. Hätte das Bundesverfassungsgericht somit einen neuen Gefahrenbegriff prägen wollen, wäre die hinreichend konkretisierte Gefahr die richtige Begriffswahl gewesen, nicht die drohende Gefahr.
Auch die „hinreichend konkretisierte“ Gefahr setzt also eine auf Tatsachen basierende Prognose voraus. Damit grenzt das Gericht diese Gefahr auch eindeutig vom Gefahrenverdacht ab, bei dem es ja gerade an einer Tatsachenbasis für eine gesicherte Prognose fehlt. Beurteilungskriterien sind hier wiederum der Einzelfall, der Bezug auf individuelle Personen als VerursacherInnen. Da sich das Umschlagen einer Gefahr in einen Schaden nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorsehen lässt, wird dieses Kriterium durch eine drohende Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut ersetzt, welche konkretisiert und zeitlich absehbar sein muss (hinreichend konkretisierte Gefahr). Ob das Bundesverfassungsgericht bei den Formulierungen „hinreichend konkretisierte“ oder „drohende“ Gefahr überhaupt neue Gefahrenbegriffe in Abgrenzung zur konkreten Gefahr schaffen wollte, bleibt unklar. Fest steht jedenfalls: Das Gericht wollte die so erfolgte Modifikation der konkreten Gefahr lediglich auf Überwachungsmaßnahmen zur Verhütung von Straftaten betreffend eines überragend wichtigen Rechtsguts beziehen. Andernfalls hätte es nicht von „Überwachungsmaßnahme“ gesprochen, sondern lediglich von „Maßnahme“.
Liest man die Randnummer zu Ende, wird deutlich: Während zunächst der Begriff der Gefahr extrem gedehnt wird, um sie zwar nicht konkret, aber immerhin hinreichend konkretisiert als Eingriffsrechtfertigung dastehen zu lassen, wird anschließend ausnahmsweise gänzlich auf sie verzichtet.
„In Bezug auf terroristische Straftaten, die oft durch lang geplante Taten von bisher nicht straffällig gewordenen Einzelnen an nicht vorhersehbaren Orten und in ganz verschiedener Weise verübt werden, können Überwachungsmaßnahmen auch dann erlaubt werden, wenn zwar noch nicht ein seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen erkennbar ist, jedoch das individuelle Verhalten einer Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass sie solche Straftaten in überschaubarer Zukunft begehen wird. Denkbar ist das etwa, wenn eine Person aus einem Ausbildungslager für Terroristen im Ausland in die Bundesrepublik Deutschland einreist.“
Auch hier betont das Gericht zunächst den Ausnahmecharakter nur in Bezug auf terroristische Straftaten und dann auch nur auf die Zulässigkeit von Überwachungsmaßnahmen! Von einer hinreichend konkretisierten Gefahr kann hier nicht mehr gesprochen werden, da das Umschlagen der Gefahr in einen Schaden weder seiner Art nach konkretisierbar noch zeitlich absehbar ist. Auch hier liegt kein sogenannter Gefahrenverdacht vor, der informationelle Vorfeldmaßnahmen in Form der Überwachung zulassen würde. Wie bereits mehrfach erwähnt, setzt er bereits die Prognose eines seiner Art nach konkretisierten und zeitlich absehbaren Geschehens voraus, jedoch fehlt es an der Tatsachenbasis, die diese Prognose stützen. Hier handelt sich um den umgekehrten Fall eines Gefahrenverdachts: Die Tatsachen im Einzelfall liegen vor und deuten auf eine typischerweise bestehende Gefahr, jedoch eines noch nicht konkretisierten und zeitlich absehbaren Geschehens. Dogmatisch liegt hier also weder eine abstrakte noch eine konkrete Gefahr vor, noch ein Gefahrenverdacht – bisher ein Nullum. Klar ist nur, wir befinden uns im Gefahrenvorfeld.
Zusammengefasst betrachtet belässt es das Gericht dabei, dass Grundrechtseingriffe eine konkrete Gefahr voraussetzen. Ausnahmsweise darf der Gesetzgeber für Überwachungsmaßnahmen im Bereich der Straftatenverhütung die Anforderungen an die Vorhersehbarkeit des Kausalverlaufs bei der Gefahrenprognose herabsetzen. Daneben darf er ebenso ausnahmsweise im Bereich der Terrorismusabwehr bereits im Vorfeld einer Gefahr sogenannte Gefahrerforschungseingriffe zulassen.
Der bayerische Gesetzgeber dreht nunmehr die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Ausnahmen in Bezug auf Überwachungsmaßnahmen zusammen durch den Fleischwolf und verwurstet sie, gewürzt mit eigenen Gimmicks, zu einer Grützwurst von Generalklausel. Hauptbestandteil ist dabei die Ermächtigung zum Handeln auf einem Nullum im Gefahrenvorfeld. Das dies natürlich nicht nur in Rechtskreisen, sondern in der gesamten Bevölkerung für Unmut sorgt, ist verständlich.
Now it’s a legal matter, baby!
Hauptpunkt aller Kritik ist die Verschiebung der bisher geltenden Maßstäbe im Gefahrenabwehrrecht, wobei es viele weitere Unterpunkte gibt, die einzeln ein Thema für sich bilden.
Bereits Anfang Mai 2018 legten etwa 20 Studierende der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg Popularklage gegen die Neufassung des PAG beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof ein.[12] Anfang Juni 2018 zogen die Landtagsfraktion der Grünen und der SPD jeweils mit einer eigenen Klage gegen das PAG ebenfalls beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof nach.[13] Schließlich wurde im September 2018 eine Klage gegen das PAG auch vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig. Die Bundestagsfraktionen der FDP, der Grünen sowie der Linken legten gemeinsam einen Normenkontrollantrag vor.[14] Wie ernst die Lage ist, zeigt sich bereits daran, dass die FDP- und Linksfraktion gemeinsam klagen. Hier weiß man, es geht es um eine sehr ernste Angelegenheit. Da Parteienfinanzierung im vorliegenden Fall offensichtlich ausscheidet, kann es sich nur um die wesentlichen Fundamente des freiheitlichen Rechtsstaates handeln.