von Stephanie Schmidt und Philipp Knopp
Im Februar 2018 fand in Berlin der 26. Europäische Polizeikongress statt. Die vom „Behörden Spiegel“, einer überregionalen (privaten) Zeitung für den öffentlichen Dienst, organisierte Verkaufsausstellung mit Kongresscharakter versammelt VertreterInnen von Sicherheitsbehörden, Politik und Wirtschaft.[1]
In diesem Artikel beleuchten wir die diskursiven Interaktionsdynamiken zwischen VertreterInnen deutscher Polizeien (und verwandter Sicherheitsorganisationen) und Wirtschaftsakteuren auf diesem Kongress, an dem wir selbst teilnahmen. Wir fokussieren insbesondere die narrativen Bezüge zwischen beiden und werden herausarbeiten, wie Narrationen der Wirtschaftsakteure eine Militarisierung der Polizei stimulieren. Es gibt für eine solche Untersuchung wohl kaum einen besseren Ort als den Europäischen Polizeikongress, denn sein zentraler Zweck ist die Förderung der Zusammenarbeit und der Vernetzung von polizeilicher Führungsebene mit der Sicherheits- und Rüstungsindustrie.
Die Analyse der diskursiven Bezugnahmen muss notwendig zwei theoretische Leerstellen der Erforschung autoritativer und militarisierender Tendenzen in Polizeien angehen: Einerseits dominiert in dieser eine oberflächliche Sichtweise auf Militarisierungsprozesse, die über das Aufzeigen technischer Innovationen der Bewaffnung und Ausrüstung der Polizei oft nicht hinausgeht, und andererseits die Frage, wie das wirtschaftliche Feld Einfluss auf die Polizei nimmt.
Unter Militarisierung verstehen wir die Herausbildung von organisationalen Wahrnehmungs-, Deutungs- und Handlungsschemata (Habitus), die zunehmend militärischen Logiken folgen. Sie sind daher in sukzessive stärkerem Maße gekennzeichnet durch Gleichgültigkeit gegenüber der Integrität vermuteter StraftäterInnen, eine starke Abgrenzung des ‚Eigenen‘ von diesen ‚Anderen‘, die fließend in offene Feind-Bestimmungen übergeht, die Wahrnehmung einer chaotischen Umgebung, in der wie in einem Feindgebiet patrouilliert und eingegriffen werden muss, um „Chaos“ einzudämmen.[2] Die technische Aufrüstung der Polizei ist daher nur ein praktischer Ausdruck der Veränderungen des polizeilichen Habitus hin zur Militarisierung. Militarisierung stellt in Deutschland ebenso nur eine Entwicklungslinie dar, die in intra- und interorganisationalen Kämpfen durchaus durch andere Tendenzen (etwa das sog. Community Policing oder die Privatisierung von Sicherheitsproduktion) konterkariert wird.
Das zweite theoretische Problem der kritischen Polizeiforschung berührt die Frage, wie das ökonomische und das polizeiliche Feld miteinander verknüpft sind, d. h. für unsere Untersuchung, was die Ökonomie mit der Militarisierung der Polizei zu tun hat. Denn Veränderungen des polizeilichen Feldes sind, wie Andrea Kretschmann richtig feststellt, nicht aus Entwicklungen der Ökonomie ableitbar.[3] Sie entstehen vielmehr in relativ autonomen Eigengesetzlichkeiten, die durch gesellschaftliche Bedingungskonstellationen präfiguriert werden. Beispielsweise sickern neoliberale Effizienzkriterien in die Organisation Polizei ein, was man als eine Ökonomisierung des staatlichen Gewaltmonopols bezeichnen kann.[4] Zudem sind die Transformationen sozialer Probleme (mit zumindest zum Teil ökonomischen Ursachen) in Sicherheitsprobleme als polizeirelevante Einflussfaktoren zu nennen. Das bedeutet unter anderem schlichtweg eine Ausweitung der polizeilichen Aufgabenfelder z. B. durch erhöhte Zahlen zu begleitender Proteste oder das Polizieren von Migrationsbewegungen und Geflüchtetenunterkünften. Mit der Untersuchung der diskursiven Interaktionsdynamiken auf dem Europäischen Polizeikongress wollen wir einen analytischen Weg vorschlagen, der die profitlogisch motivierte Bestätigung polizeilicher Dispositionen durch WirtschaftsvertreterInnen in den Blick nimmt. Wir werden also aufzeigen, wie polizeiliche Krisendeutungen, Wahrnehmungsschemata und Praktiken der Militarisierung in der „lokalen narrativen Struktur“[5] des Polizeikongresses gefördert werden, indem das Werben auf feldspezifische Legitimationsressourcen und hegemonialen Selbstbilder einer kriegerischen PolizistInnenkultur ausgerichtet wird.[6] Aus der Perspektive der Konsumsoziologie untersuchen wir also die Form und Struktur des Werbens der (Rüstungs-)Industrie und ihre Beziehung zu polizeilichen Selbst- und Weltbildern. Für den Konsumphilosophen Jean Baudrillard war früh klar, dass das wirtschaftlich motivierte Werben „keiner Logik der Thesen und des Beweises, sondern einer Logik der Fabel und des Mitspielens“ folgt.[7] Die Werbung bestätigt, kultiviert und befriedigt die Bedürfnisse der polizeilichen KundInnen selektiv. Das wirtschaftliche Werben erzeugt damit keine Bedürfnisse aus dem Nichts, sondern stärkt und entwickelt einige Narrative und Logiken des polizeilichen Denkens, Fühlens und Handelns, die wir im Folgenden vorstellen werden.
Die „Krise“ der Polizei
Militarisierung stellt eine spezifische Krisenlösungsstrategie der Polizeien dar. Um sie zu verstehen, ist es unverzichtbar die zugrundeliegende polizeiliche Zeitdiagnose zu erfassen. Diese Deutungen wurden auf dem Polizeikongress auch in fast allen Vorträgen und Werbereden der UnternehmensvertreterInnen aufgenommen und zeichneten – beinahe ausschließlich – krisenhafte Bilder der aktuellen „Lage“.[8]
In zentralen Reden auf dem Polizeikongress tauchten immer wieder drei Ereignisse auf, die zur Veranschaulichung der gegenwärtigen Probleme polizeilichen Handelns herangezogen und als Zäsuren der polizeilichen Arbeit beschrieben wurden. Sie dienen als Legitimationsgrundlage für Militarisierungstendenzen. Erstens war dies der islamistische Terroranschlag auf einen jüdischen Supermarkt und die Diskothek Bataclan in Paris 2015, zweitens der LKW-Anschlag von Anis Amri auf den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz 2016 sowie drittens der G20-Gipfel in Hamburg 2017. Alle drei galten als Ereignisse, die entweder durch bestimmte Mittel, wie dem Angriff mit Sturmgewehren (Paris), durch die Allgegenwart von möglichen „Tatwaffen“ (Berlin) oder durch die in einigen Bevölkerungsteilen vermeintlich gestiegene Ablehnung und Feindschaft gegenüber Polizist*innen (Hamburg) eine scheinbare Machtlosigkeit der Polizei aufzeigen, der mit strategischer und technischer Aufrüstung zu begegnen sei. Dies bestätigend listete ein „Wirkmittelvergleich“ (siehe Abb.) des Waffenherstellers Heckler & Koch (H&K) die zu erwartenden Waffen der „Gegner“ – Messer, Sturmgewehr AK47 und LKW – direkt neben den aus Sicht des Herstellers zu kleinen Waffen der Polizeien und den angemessenen militärischen Mitteln auf. Auf der gefüllten Liste des Militärs ist ein großes Arsenal an H&K-Produkten abgebildet bis hin zum Maschinengewehr. Die Polizei verfügt im Bild hingegen mit Pistole und Maschinenpistole über weniger „Wirkmittel“ als sie TerroristInnen zur Verfügung stünden.
Dem Sturmgewehr AK47 kommt dabei eine beinahe mystische Funktion im Diskurs des Polizeikongresses zu. Es sei „die Waffe, die der Gegner im Einsatz in der Regel bringt“ (Heckler & Koch). Sie wird damit zum Symbol vermeintlicher polizeilicher Unterlegenheit, Konvergenzpunkt für artikulierte Ängste und Aufrüstungsbestrebungen.
Nicht nur in Bezug auf Waffen, sondern auch im Hinblick auf die Zugriffsmöglichkeiten auf und den Austausch von Informationen sieht sich die TeilnehmerInnenschaft des Polizeikongresses in der Durchsetzungskraft staatlicher Sicherheitsmacht illegitim gezügelt. So sprach Günther Krings (CDU), parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium, von „grundrechtlichen Phantomschmerzen“, die einer engeren Zusammenarbeit von Geheimdiensten und Polizei entgegenstünden und daher einen Nachteil gegenüber vermeintlich „völlig“ freien und „perfekt“ vernetzten kriminellen Organisationen darstellen würden.
Das hier an der Bewaffnung veranschaulichte Risiko polizeilicher (Alltags-)Einsätze ist gleichermaßen ein Kapital, das im Positionskampf um Ressourcen und Anerkennung zwischen Einheiten des Gewaltmonopols eingesetzt wird. So verdeutlicht der Leiter der Zentralen Unterstützungsgruppe des Zolls (ZuZ, vergleichbar mit einem polizeilichen SEK) seine Zugehörigkeit und Relevanz im polizeilichen Feld neben der Darstellung von Effizienz und Erfolgszahlen mit der alltäglichen und doch unvorhersehbaren Gefahr bei Baustellenkontrollen, auf denen BeamtInnen mit bewaffneten Ex-Soldaten aus Jugoslawien zusammentreffen könnten. Die alltägliche Routine kann in der polizeilichen Wahrnehmung sofort in einen Ausnahmezustand umschlagen, auf den man sich aus Gründen des Selbstschutzes vorbereiten müsse.[9] Auch wenn die Polizei in ihrer alltäglichen Arbeit stets in als krisenhaft verstandenen Lagen agiert, gelten diese als grundlegend kontrollierbar. Mithilfe von polizeilichen Praktiken und der zur Verfügung stehenden Technik können die BeamtInnen in den meisten Fällen davon ausgehen, „Herr der Lage“ zu sein. Kippt dies jedoch, wie bei den von der Polizei so verstandenen Zäsuren, wird die Lage zu einem unkontrollierbaren (Ausnahme-)Zustand. Damit ähneln die polizeilichen Beschreibungen – wie auch die der wirtschaftlichen AkteurInnen – nicht nur einem Narrativ der Bekämpfung von allgegenwärtigen und doch versteckten GegnerInnen, sondern unterstützen auch die Vorstellung von heldenhaften, jede Krise überwindenden PolizistInnen. Dies geschieht auch im Bewusstsein des hohen Vertrauens in der allgemeinen Bevölkerung und der politischen Wirkung des aktuell diagnostizierten Terrorrisikos auf Investitionen in die Polizeien.
Die Logik des „noch nicht!“– Blick in eine düstere Zukunft
Viele der beschriebenen Bedrohungssituationen, die in Polizeien kursieren und von der Wirtschaft als Verkaufsargument in Anschlag gebracht werden, sind in Deutschland nicht eingetroffen (z.B. islamistischer Terroranschlag mit AK47-Sturmgewehren). Dennoch werden Polizeien derzeit mit diesen Begründungen aufgerüstet und Selbst- und Weltbilder richten sich an den düsteren Visionen aus. So folgten viele Verkaufsargumentationen einer Risikologik. Die gesellschaftliche Situation wird durch eine düstere und unsichere Zeit gekennzeichnet, in der potenziell alles passieren kann, eingetreten ist es bloß „noch nicht!“, so der Vertreter von Ulbricht Protection. Zukünftigen, durch verbesserte Bewaffnung der StraftäterInnen entstehenden Risikosituationen müsste bereits heute vorgebeugt werden, bevor es zu spät sei und Sicherheitskräfte zu Schaden kämen. Die Aufrüstung der Polizeien ist somit vor allem präventiv. Die zukünftigen Gefahrenquellen umfassen eine weite Spanne von Phänomenen wie bewaffnete DemonstrantInnen über AK47-Beschuss auf StreifenpolizistInnen, die daher Schutzausrüstung wie SEK-BeamtInnen bräuchten, bis hin zur Vereisung von Dienstwaffen oder der Notwendigkeit, unter Wasser zu schießen (Vortrag von Heckler & Koch).
Jeder kann ein Held sein … mit der richtigen Ausstattung
Neben dem allgegenwärtigen Risiko zeigt ein weiterer Vortrag einer selbsternannten Randfigur des deutschen polizeilichen Feldes – des Leiters der Spezialabteilung der Züricher Polizei –, dass die Ausrüstung der Polizei selbst für Anerkennung sorgen kann. Seine Plädoyers für die Nutzung von dezidiertem Militärmaterial und vor allem von Gummigeschossen fand bei vielen KongressteilnehmerInnen positive Beachtung, wenngleich die Gewerkschaft der Polizei (GdP) sich gegen diese Militarisierungsstufe ausspricht.[10] Auch die Tötungseffizienz der Züricher Spezialeinheit („nach einem Schuss ist Schluss“) wurde in einem Vortragspanel mit durchaus positiv gemeintem Lachen aufgenommen.
Polizeiliche Helden sind also im lokalen Narrativ des Polizeikongresses dadurch gekennzeichnet, dass sie unter widrigen und gefährlichen Bedingungen effizient ihren Dienst tun. Dafür benötigt der moderne Held eine für seine Aufgabe angemessene Ausrüstung, die ihm die Industrie bereitstellen könnte, wenn die Politik es denn so wollte. So wird auch mit diesen Helden geworben: Ein Ausstatter für Schutzausrüstung bemerkte im Gespräch mit uns, dass seine Firma das Schild herstellte, mit dessen Schutz ein Polizist im Pariser Bataclan zwei Terroristen hatte erschießen können und nun ein Held sei.
Die Wirtschaft bot der Polizei auf dem Polizeikongress daher nicht die Vermeidung von Risiken an, sondern rüstet die Figur des polizeilichen Helden mit der Fähigkeit aus, die Risiken durch neue und „robustere“ Ausstattung als „Immunisierung“ und „Dispositonsprophylaxe“ zu managen.[11] Die Verhaltensveränderungen treten – auch das war am Rande präsent – in Konflikt mit „bürgernahen“ polizeilichen Strategien. Narrative über eine krisenhafte Arbeit in einer Gesellschaft, die durch unsichtbare und unkontrollierbare StraftäterInnen zumindest zeitweise in einen Ausnahmezustand gebracht werde und die Fabeln über gut ausgerüstete Helden, die diesen Ausnahmezustand dennoch kontrollieren, sind dabei nicht nur Erzählungen, die zur Unterhaltung dienen. Es sind auch „Weisen der Welterzeugung“,[12] die polizeiliche Zeitdiagnosen mit konstituieren, verdoppeln und so auch eine Anpassung und Militarisierung der Polizei begünstigen. Die Ausrichtung auf das schlechterdings Mögliche, nicht auf das Wahrscheinliche, evoziert Veränderungen der Wahrnehmungs- und Handlungsschemata, die im Polizeialltag zu zunehmender Distanz zu verdächtigen Bevölkerungskreisen führen können und schon jetzt zu einer neuen Aufrüstungskonjunktur der persönlichen und organisationalen Eigensicherung beiträgt.[13]
Schlussbemerkung
Die Polizei sieht sich in einer durch immer und überall mögliche Bedrohungen gekennzeichneten Situation. Das vermeintlich allgegenwärtige und zunehmende Risiko ist für sie Krisenmerkmal wie auch zentrale Bedingung für die Ausbildung eines kriegerischen Selbstbilds in einem polizeilichen Feld, in dem effizientes und resolutes Vorgehen gegen „Gegner“ mit Anerkennung verknüpft ist. Diese Anerkennung wurde auf dem Polizeikongress sowohl polizeiintern attribuiert, wie auch von Seiten der Wirtschaft und Politik diskursiv befördert. Gleichermaßen ist die konstruierte, genuin männliche Figur des heldenhaften Kriegers[14] nur so gut wie ihre waffen- und schutztechnische Ausrüstung, die deren Männlichkeit noch unterstreicht.
Was die wirtschaftliche Werbung auf dem Polizeikongress mit verkauft, ist das, was als eine spezifische Ausprägung der Illusio des polizeilichen Feldes bezeichnet werden kann:[15] Sie bestätigt selektiv die Regeln und Anerkennungshierarchien des polizeilichen Feldes. So tragen die werbenden Interaktionen zur diskursiven Verdopplung von düsteren Krisenszenarien und Gesellschaftsdiagnosen bei. Sie befördern militarisierte Selbstbilder zumindest bei einem signifikanten und auch ranghohen Teil der Polizeien.
Auf dem Europäischen Polizeikongress waren so verschiedene Dispositionen eines militärischen Habitus aufzufinden und wurden kultiviert. Dazu zählen die Indifferenz gegenüber den „Gefährdern“, die Kernfiguren der Freund-Feind-Opposition sind und bereits zum Teil als auszuschalten wahrgenommen werden, das Bild einer chaotischen, gefahrvollen Umwelt, aber auch das Bild des heroischen Kriegers, der aufopferungsvoll gegen diese Widrigkeiten ankämpft. Die adressierten und verbreiteten Selbst- und Weltdeutungen entsprechen dabei weit verbreiteten Bildern der PolizistInnenkultur und treten nicht selten – randständig auch auf dem Polizeikongress – in direkte Opposition zur organisationalen Schauseite der Polizei, die BürgerInnennähe und die Deeskalation betont. Die hier aufgezeigten Militarisierungstendenzen sind auch innerhalb der Polizei nicht unumstritten, auf dem Polizeikongress jedoch diskursiv enorm wirkmächtig.
[1] mehr Informationen und das Programm auf www.europaeischer-polizeikongress.de
Demonstration gegen den Polizeikongress: Samstag 16.2.2019 | 17:00 Uhr | Frankfurter Tor | Berlin |
und viele veranstaltungen in der Woche infos:
https://polizeikongress2019.noblogs.org/
https://twitter.com/bullenkongress?ref_src=twsrc%5Etfw