Polizei und Geheimdienste erhalten im „Kampf gegen den internationalen Terrorismus“ nicht nur immer neue Befugnisse, sie werden auch personell aufgestockt und neu ausgestattet: Tausende Stellen bei Polizei, Sondereinheiten, Schutzausrüstung und Bewaffnung – Versuch einer Bestandsaufnahme.
Nicht ohne Stolz verwies der Innenexperte der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Armin Schuster, auf das Wirken seiner Kollegen in der Innenpolitik bei der Aufstellung des Haushalts 2017: „Der Plan der CDU- und CSU-Innenpolitiker unter Stephan Mayer war 2014 … den Haushalt des Innenressorts mit einem echten Aufwuchs zu versehen. … Das war ein Mehrjahresplan. … Ich bedanke mich auch beim Koalitionspartner, dass wir das … konzentriert und geduldig durchgezogen haben.“[1] Mayer, der Kopf der Unionsinnenpolitiker, konnte in der abschließenden Debatte zum Haushalt Vollzug melden: Man habe einen Aufwuchs im Haushalt des Bundesinnenministerium um 53 Prozent erreicht. „Es gab eine Steigerung von knapp 6 Milliarden Euro im Jahr 2014 auf knapp 9 Milliarden im Jahr 2017 … Weiter werden zwischen 2015 und 2020 7.500 zusätzliche Stellen bei der Bundespolizei geschaffen. Beim Bundeskriminalamt wird es 1.300 zusätzliche Stellen geben.“[2] Angesichts dieser Darstellung kann man den Eindruck gewinnen, die Union habe auf Flüchtlingskrise und Terrorismus geradezu gehofft, um den massiven Ausbau der Sicherheitsbehörden begründen zu können.
Zentrales Vorhaben der Koalition im Zusammenhang mit der polizeilichen Terrorismusabwehr ist die Schaffung der BFE+, der „Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit +“ der Bundespolizei (BPol). Die Sondertruppe soll, anders als die auf kurze Zugriffseinsätze spezialisierte GSG 9, auch längere bewaffnete Auseinandersetzungen mit TerroristInnen und Fahndungsmaßnahmen über mehrere Tage durchhalten können. An fünf Standorten werden dafür bis 2018 jeweils Einheiten von 50 Personen geschaffen, ausgerüstet mit Schutzwesten, gepanzerten Fahrzeugen und Sturmgewehren (G36 von Heckler&Koch, bislang bei der Bundeswehr im Einsatz). Die erste Einheit ging nach ihrer Ausbildung durch die GSG 9 in der BPol-Kaserne in Blumberg bei Berlin an den Start. Ihr erster Einsatz hatte mit Terrorismus nichts zu tun: Es ging dabei um die Festnahme eines syrischen Staatsangehörigen in Strausberg (Brandenburg), dem zur Last gelegt wird, für den Tod von fünf Menschen bei der Überfahrt von der Türkei nach Griechenland verantwortlich zu sein.[3]
Spezialeinheiten der Länder mit Kriegswaffen
Auch einzelne Länder begannen in Reaktion auf den Anschlag auf „Charlie Hebdo“ in Paris am 7. Januar 2015 eigene Spezialeinheiten personell und ausstattungsmäßig aufzurüsten. Rheinland-Pfalz hat 2015 1,6 Millionen Euro für Kalaschnikow-ähnliche Waffen, gepanzerte Fahrzeuge, robustere Schutzwesten und Nachtsichtgeräte ausgegeben und wird SEK und MEK zu einer neuen Organisationseinheit Spezialkräfte zusammenlegen.[4] Hessen hat ein „Mobiles Einsatzkommando“ für Anti-Terroreinsätze gegründet, Details wurden nicht bekannt gegeben. NRW sieht sich mit seinen bestehenden SEK ausreichend gerüstet. Bayern verbessert ebenfalls Bewaffnung und Schutz der um 50 Stellen aufgestockten Spezialeinheiten.[5] Berlin gründet nach dem Vorbild der BPol eine 75-köpfige „Taskforce für besondere Sicherheitslagen“, für die neue Stellen geschaffen werden; das Berliner SEK hat neue Waffen erhalten.[6] Für die Einsatzhundertschaften werden neue Panzerfahrzeuge angeschafft, schusssicher gegen Maschinenpistolen und Handgranaten, sie sollen auch über eine Nebelkanone verfügen. Für die SEK werden MP7 und 200 Schutzwesten der höchsten Schutzklasse angeschafft.[7] In Brandenburg waren bereits 2016 mehr BeamtInnen in Spezialeinheiten geschickt und zugleich Bewaffnung und Schutzausrüstung verbessert worden; SEK und MEK sollen 2017 noch einmal 30 BeamtInnen mehr erhalten. 20 ErmittlerInnen sollen im LKA ein neues Anti-Terror-Dezernat besetzen und die GefährderInnen in Brandenburg im Blick behalten. Auch hier werden wie in Schleswig-Holstein G36 beschafft.[8]
Ausgebaut werden auch jene Staatsschutzabteilungen der Polizei, die sich quasi-geheimdienstlich mit Vorfeldermittlungen, Observationen und Gefährderansprachen befassen. Im BKA wurden 2016 für den Bereich islamistische Gefährder 200 Stellen geschaffen, 2017 kommen aus dem mit 290 Stellen ausgestatteten „Paket zur Stärkung der Sicherheitsbehörden“ weitere Stellen hinzu. Hierzu liegen aus den Ländern nur wenige Zahlen vor: Bis 2020 will Hessen 200 neue Stellen beim Staatsschutz einrichten;[9] mit dem Haushalt 2016 hat Baden-Württemberg 19 neue Stellen beim LKA geschaffen, 15 neue Stellen in der Justiz sollen die Strafverfolgung absichern, 2017 kommen noch einmal 30 Stellen beim LKA hinzu;[10] Bayern stockt um 50 Stellen beim Staatsschutz auf.[11]
Mehr Personal für den Vollzugsdienst
Während schon 2016 bei der BPol 1.000 neue Stellen geschaffen wurden, wird der normale Polizeivollzugsdienst in den Ländern erst mit den Haushalten für 2017 gestärkt. Das hat nur bedingt mit der Gefahr von Terroranschlägen zu tun. Seit 1998 waren nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes 16.000 Stellen bei den Polizeien gestrichen worden.[12] Davon entfielen etwa 6.000 auf die BeamtInnen, 10.000 auf Arbeitnehmer-Innen. Gekürzt wurde also vor allem in der Verwaltung, womit die VollzugsbeamtInnen mehr administrative Aufgaben zu erledigen haben – Zeit, die für den Streifen- und Ermittlungsdienst fehlt. Auch wenn die Kürzung von 16.000 Stellen bei dann immer noch fast 300.000 Polizeibeschäftigten innerhalb von 17 Jahren nach nicht viel klingt, sind die polizeigewerkschaftlichen Klagen über steigende Arbeitsbelastung doch nachvollziehbar. Insbesondere, da die Stellenkürzung die Überalterung des Polizeiapparates (wie der gesamten öffentlichen Verwaltung) noch befördert hat und ein damit einhergehender hoher Krankenstand die Arbeitsbelastung noch einmal erhöht.[13]
Es verwundert daher nicht, dass die neuen Stellen nicht unbedingt zuerst im Vollzugsdienst, sondern bei der Verwaltung geschaffen werden. So wurde der Haushaltsausschuss des Bundestages informiert, dass aus der ersten Tranche des 3.000er-Aufwuchses bei der BPol im Jahr 2006 von 1.000 Stellen 240 in der Verwaltung geschaffen wurden, um die „in den zurückliegenden Jahren entstandene Planstellenunterveranschlagung im Verwaltungsdienst“ zu schließen. Dort waren im Rahmen der Neuorganisation der BPol 2008 mit dem Ziel, mehr BeamtInnen „auf die Straße“ zu bekommen, eine Vielzahl von Aufgaben von den VollzugsbeamtInnen dem Verwaltungsbereich zugeordnet worden, allerdings ohne dafür auch neue Stellen zu schaffen. Man glaubte, durch eine straffere Organisation der Verwaltung würden sich Verwaltungsaufgaben wie von Zauberhand künftig von weniger Beschäftigten erledigen lassen. Dieses Modell ist offenbar gescheitert, es mussten Polizeivollzugsbeamte in den Verwaltungsdienst gesetzt werden. Die dürfen nun wieder das tun, wofür sie eigentlich ausgebildet wurden.
Ähnliche Entwicklungen zeichnen sich auch in den Ländern ab, wo die Polizeistrukturreformen der vergangenen Jahre nach dem gleichen Schema abliefen: Mecklenburg-Vorpommern will 150 VollzugsbeamtInnen aus der Verwaltung in den Vollzugsdienst zurück versetzen.[14] In Niedersachsen sollen 200 neue Verwaltungsstellen den Vollzugsdienst entlasten.[15] Gleiches gilt für Baden-Württemberg. Die SPD fordert hier sogar 600 Stellen in der Verwaltung; sie hatte mit ihrer Polizeireform 2014 vollmundig angekündigt, 1.000 Stellen bei der Polizei überflüssig machen zu können.[16]
Das Gros der bei den Landespolizeien neu geschaffenen Stellen soll jedoch unmittelbar dem Vollzugsdienst zugute kommen. In Mecklenburg-Vorpommern, wo nach Gewerkschaftsangaben in den letzten Jahren insgesamt 1.000 Stellen weggefallen sind, will man nun (zusätzlich zu den Rückversetzungen aus der Verwaltung) 150 neue Stellen schaffen.[17] Niedersachsen hat die Planungen von 720 neuen Stellen auf 1.000 angehoben.[18] Grün-Schwarz in Baden-Württemberg hat insgesamt 1.500 neue Stellen vereinbart; 2017 sollen die ersten 381 (inkl. Verwaltung) geschaffen werden.[19] Bis 2020 sollen in Bayern 2.000 neue Stellen entstehen; dafür müssen bis 2025 11.000 neue BeamtInnen eingestellt werden, um ausscheidende KollegInnen zu ersetzen.[20] Berlin plant, insgesamt 940 neue Stellen bis Ende 2019 zu schaffen; 2021 sollen 18.000 statt der derzeit 16.000 PolizistInnen einsatzbereit sein. Einfach zu erreichen wird das nicht, denn Berlin zahlt unter den Bundesländern die schlechtesten Gehälter, weshalb viele PolizistInnen nach ihrer Ausbildung zu anderen Landespolizeien, zur BPol oder zu Sicherheitsunternehmen wechseln.[21] Brandenburg will zumindest den geplanten Stellenabbau bremsen und bis 2020 auf 8.250 statt wie vorgesehen auf 7.000 Stellen herunterfahren. Schon jetzt hat die Brandenburger Polizei Probleme, den normalen Streifendienst aufrechtzuerhalten.[22] Auch dort gab es in den letzten Jahren eine Strukturreform. Bremen ist so pleite, dass hier gerade einmal die Zahl der Ausbildungsplätze von 10 auf 35 erhöht werden konnte, obwohl alle Beteiligten die Personaldecke als zu dünn ansehen.[23] Hamburg will bis 2022 300 neue Stellen im Polizeivollzugsdienst schaffen, bei dann 8.000 Stellen insgesamt.[24] Hessen will bis 2020 250 neue Stellen in diesem Bereich einrichten.[25] Auch Nordrhein-Westfalen will ab 2017 nach 15 Jahren Personaleinsparung auf allen Ebenen 2.000 neue PolizistInnen jährlich einstellen.[26] Sachsen will 1.000 neue Stellen bis 2026 schaffen, davon allerdings allein 550 bei der nur in sechs bis acht Wochen ausgebildeten „Wachpolizei“.[27] In Schleswig-Holstein werden die BeamtInnen mit Stellenhebungen bei Laune gehalten, real werden wenige Stellen abgebaut.[28] In Thüringen ist der von der Vorgängerregierung beschlossene Abbau von 800 Stellen bei der Polizei von rot-rot-grün weiterhin nur ausgesetzt – dort schockte die Landesregierung ihre Polizei mit einem Gutachten der Unternehmensberatung PriceWaterhouseCoopers, der zufolge 1.600 Stellen abgebaut werden könnten.[29] Aus Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Sachsen-Anhalt liegen keine Zahlen vor oder es sind keine Stellenaufwüchse geplant.
Dies macht in der Summe – vorausgesetzt, alle Landesregierungen setzen ihre Pläne so um – gut 9.000 neue Stellen bei den Landespolizeien bis 2022. Gemeinsam mit den geplanten 7.500 Stellen bei der BPol wäre der seit 1998 erfolgte Stellenverlust bei der Polizei ausgeglichen – falls es ihr gelingt, genug geeignete BewerberInnen zu finden und ausreichende Ausbildungskapazitäten zu schaffen. Einher ginge dies allerdings auch mit einer starken Verschiebung der Kräfteverhältnisse zum Bund und zu wenigen Ländern, die zu großen Personalaufwüchsen in der Lage sind.
Martialische Ausrüstung
Der Einsicht folgend, dass meistens die PolizistInnen des normalen Streifen- und Wachdienstes die ersten sind, die in eine terroristische oder Amoklage geraten, haben nun viele Länder in der Ausrüstung ihrer Polizeien nachgelegt: mit Schutzwesten der Klasse 4, die auch Beschuss mit großkalibrigen Waffen wie der AK-47 standhalten können, werden nach den Spezialeinheiten nun auch die Polizeien in Bayern, Berlin, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Schleswig-Holstein ausgestattet; einige dieser Länder schaffen auch neue kugelsichere Schutzhelme an. Auch bei der Bewaffnung wird nachgelegt. Das Sturmgewehr G36 der deutschen Rüstungsschmiede Heckler&Koch, das bereits bei der Bundeswehr im Einsatz ist, wird meist in einer Version mit eingekürztem Lauf bei Spezialeinheiten eingesetzt, in Schleswig-Holstein gab es ernsthaft eine Debatte über die flächendeckende Ausstattung der Polizei mit dieser Kriegswaffe.[30] Für die Streifenwagenbesatzungen werden in mehreren Bundesländern Maschinenpistolen MP7 (ebenfalls Hecker&Koch) angeschafft. Auch bei der Bewaffnung der einzelnen PolizistInnen wird nachgerüstet: Modelle wie die SigSauer P9 mit Acht-Schuss-Magazin werden durch die SFP9 mit 18 Schuss (ebenfalls Heckler&Koch) ersetzt. Die Landespolizeien nutzen die aktuelle Debatte über die Gefahr terroristischer Angriffe mit Feuerwaffen, um ihre Bewaffnung zu modernisieren. Denn die immer noch verbreitete MP5 stammt aus den Zeiten der RAF-Hysterie in den 70er Jahren, die SigSauer P9 wird ohnehin derzeit ausrangiert.[31]
Uneindeutiges Bild
In der Gesamtschau ergibt sich ein Bild, das kennzeichnend für die aktuellen Debatten um die „Innere Sicherheit“, die richtige Reaktion auf die Bedrohung durch terroristische und Amoktäter und die dafür notwendigen Fähigkeiten der Polizeibehörden ist. Der Aufbau der BFE+ und die Hochrüstung der SEK ist vor dem Hintergrund solcher Szenarien wie bei am 7. Januar (Charlie Hebdo) und am 13. November 2015 (Bataclan) in Paris nachvollziehbar. Aber diesen Truppen werden die Anlässe fehlen, für die sie ausgebildet und ausgestattet wurden. Das ist eine Einladung für Innenminister, die Härte demonstrieren wollen und diese Einheiten dann für harmlose Razzien ins Feld schicken. Tatsächlich nachvollziehbar ist die Schutzausrüstung für die normalen Schutzpolizisten.
Dass für deren personelle Ausstattung TerroristInnen und Flüchtlinge herhalten müssen, ist vor allem feige. Es gäbe viele gute Argumente, mit denen sich begründen ließe, dass eine bürgernahe und auch im Altersschnitt für die Bevölkerung repräsentative Polizei nun mal einen gewissen personellen Umfang braucht – und wie die gesamte öffentliche Verwaltung darauf vorbereitet werden muss, dass in 10-15 Jahren viele stark vertretene Jahrgänge in Rente gehen werden. Die diskursive Einbettung der personellen Verstärkung der Polizei in das Feld von „Terrorismus“ und „Flüchtlinge“ hingegen bestätigt in der Bevölkerung das Gefühl, unkontrollierbaren Bedrohungen ausgesetzt zu sein, denen die Politik lediglich symbolische Gesten entgegenzusetzen hat.