von Otto Diederichs
Durch polizeiliche Schüsse wurden im Jahre 2009 sechs Menschen getötet und 21 verletzt. Dies geht aus der Schusswaffengebrauchsstatistik der Innenministerkonferenz (IMK) hervor.
Mit sechs polizeilichen Todesschüssen liegt das Jahr 2009 statistisch im Mittelfeld. Insgesamt 57 Schüsse hat die deutsche Polizei im vergangenen Jahr auf Personen abgegeben; davon sind 24 als Schüsse „gegen Sachen“ deklariert. Hinzu kommen weitere 176 Schüsse gegen Sachen sowie 8.429 zum Töten gefährlicher, kranker oder verletzter Tiere. Einen Fall von Schusswaffengebrauch gegen Personen listet die IMK als „unzulässig“ auf. Worum es sich dabei handelte, geht aus der Aufstellung wie üblich nicht hervor.[1]
Dass die offizielle Statistik der Redaktion überhaupt vorliegt, ist jedoch nicht der IMK zu verdanken. Unsere Anfrage an den Organisationsstab des IMK-Vorsitzes vom 7. Mai 2010 blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Die bereits früher bemängelte unselige Praxis, in diesem sensiblen Bereich offizielle Zahlen nicht öffentlich zu machen, setzt sich also fort.[2] Beschafft werden konnte die Statistik schließlich durch enge Kontakte zum „Verein Berliner Polizeireporter“.[3]
Die sechs Todesschüsse konnten anhand von Pressemeldungen und weiteren Recherchen identifiziert werden (siehe Tabelle). Ein weiterer Fall war in ersten Berichten als polizeilicher Todesschuss dargestellt worden – eine Version, die aber bereits am Tag darauf korrigiert werden musste: Nach einem Überfall auf eine Bank in Ruppichteroth bei Bonn am 20. August 2009 lieferte sich ein 47-jähriger Mann einen Schusswechsel mit einem Polizisten, bei dem sowohl der Beamte als auch er selbst verletzt wurden. Die Obduktion ergab jedoch, dass sich der mutmaßliche Bankräuber selbst mit einem Kopfschuss getötet hatte.[4]
Shoot-out im Treppenhaus
Zwei polizeiliche Todesschüsse hatten 2009/2010 ein längeres juristisches Nachspiel. Im Fall des Dennis J., der in der Silvesternacht 2008 im brandenburgischen Schönfließ von einem Berliner Polizisten erschossen wurde, verurteilte das Landgericht Neuruppin im Juli 2010 den Schützen und zwei ebenfalls an dem Einsatz beteiligte Beamte.[5] Die Chancen, dass die tödlichen Schüsse auf den 24-jährigen Musikstudenten Tennessee Eisenberg am 30. April 2009 in Regensburg (s. Tabelle – Fall 2) vor Gericht geklärt werden, sind dagegen nur noch gering. Die Staatsanwaltschaft Regensburg stellte im Dezember 2009 die Ermittlungen ein. Die Generalstaatsanwaltschaft in Nürnberg bestätigte diese Entscheidung im März 2010. Die Familie hofft nun auf ein Klageerzwingungsverfahren vor dem bayerischen Oberlandesgericht.[6]
Ähnlich wie im Falle Dennis J. geht es auch hier darum, ob sich die polizeilichen Schüsse als Notwehr rechtfertigen lassen. Die erste Presseagenturmeldung zum Tod von Tennessee Eisenberg klang noch nüchtern: „Bei einem Polizeieinsatz in Regensburg ist ein Mann durch einen Schuss aus einer Dienstwaffe getötet worden … Der verletzte Mann sei später seinen Verletzungen erlegen“.[7] Zwei Wochen später, am 14. Mai 2009, titelte die „Süddeutsche Zeitung“ bereits „Notwehr mit zwölf Schüssen“.
Klar ist nur, dass Eisenberg und sein Mitbewohner in ihrer Studentenbude in einen eskalierenden Streit geraten sind, bei dem Eisenberg zu einem Küchenmesser griff; sein Mitbewohner flüchtete und rief die Polizei. Die rückte mit acht Beamten an und drang in die unverschlossene Wohnung ein, in der Eisenberg immer noch mit dem Messer herumfuchtelte. Auf die Aufforderung, dieses fallen zu lassen, reagierte er nicht. Taktisch richtig wichen die Polizeibeamten zunächst ins Treppenhaus zurück; Eisenberg folgte ihnen. Und nun wird es verworren: Angeblich wurden dort zwei Polizisten „derart massiv bedrängt, dass dessen Kollegen feuern mussten“.[8] Aus zwölf Schüssen sind unterdessen 16 geworden,[9] „wovon elf Herrn Eisenberg trafen und einer ihn streifte. Drei Schüsse trafen den linken Arm, zwei Schüsse in die Beine, sechs Schüsse, wovon einer vorher den Arm durchschlagen hatte, den Oberkörper und ein Streifschuss den linken Unterschenkel. Sieben dieser Schüsse wurden von einer Schützenposition aus abgegeben, die bezogen auf den Getroffenen sich schräg links hinten befunden haben muss. Bei einem Schuss war der Oberkörper von Herrn Eisenberg nach vorne geneigt, bei allen anderen Schüssen befand sich Herr Eisenberg in aufrechter Haltung. Die weiteren Schüsse trafen Herrn Eisenberg von vorne“.[10] Zudem soll ein Polizeivideo, auf dem der Einsatz rekonstruiert wird, belegen, „dass die ersten Schüsse auf den 24-Jährigen von hinten abgegeben wurden“.[11] Wildwest in Regensburg.
Die verwendete Polizeimunition findet – soweit bekannt – bei der juristischen Aufarbeitung indes wenig Beachtung. Wie auch andere Länderpolizeien verwendet die bayerische Polizei seit Jahren die so genannte „Polizeiliche Einsatzpatrone“ (PEP).[12] Die PEP-Projektile verformen sich beim Auftreffen auf den menschlichen Körper und sollen dadurch einen Schock auslösen, der kampfunfähig macht. Schon ein Treffer ins Bein soll reichen.[13] Offenbar ist dem nicht so – die PEP gehört somit wieder auf den Prüfstand.