von Wil van der Schans
Der niederländische Inlandsgeheimdienst, der Allgemeine Nachrichten- und Sicherheitsdienst (AIVD), verspricht Flüchtlingen, eine Tätigkeit als Informant würde sich positiv auf ihr Asylverfahren auswirken. Ein Bericht des Büros Jansen & Janssen von Ende 2003 zeigt, wie der Dienst die unsichere Lage der Flüchtlinge und ihre Unkenntnis ausnutzt.
Die Anwerbung von Informanten unter Asylsuchenden ist eine der wenigen Aufgaben des AIVD, zu der es klare Regeln gibt. Die Mitarbeit von Flüchtlingen und Migranten darf immer nur freiwillig geschehen. Im November 2003 hat das Büro „Jansen & Janssen“, das die Arbeit von Polizei und Geheimdiensten kritisch verfolgt, in einem Bericht dargelegt, dass der AIVD diese Regeln immer wieder verletzt.[1]
Eine ähnliche Studie über die Arbeitsweise des Geheimdienstes hatte Jansen & Janssen bereits 1991 angestellt. Da hieß der AIVD noch BVD (Inlandssicherheitsdienst) und auch schon damals zeigte sich, dass Flüchtlinge ganz und gar nicht freiwillig mit ihm zusammenarbeiteten. Anwerbungen gingen einher mit falschen Versprechungen und Drohungen. Als das Parlament Aufklärung verlangte, erklärte die damalige Innenministerin Ien Dales, Asylsuchende seien in einer „verletzbaren“ Situation. Das sei aber kein Grund dafür, Asylsuchende in Zukunft von der fürsorglichen Belagerung durch den Geheimdienst zu befreien. Angesichts der Hinweise dafür, dass der BVD regelmäßig mit Aufenthaltsbewilligungen wedele, reagierte Dales heftig und deutlich: „Der BVD muss immer klar machen, dass er nicht über die Vergabe von Aufenthaltsbewilligungen entscheidet.“ Zudem habe er Asylsuchenden zu erklären, „dass sie nicht dazu verpflichtet sind, ihm Informationen zu liefern … Beim Kontakt mit Asylsuchenden ist und bleibt es dabei, dass weder positive noch negative Sanktionen in Aussicht gestellt werden. Asylsuchende liefern daher nur auf freiwilliger Basis Informationen an den BVD“, so Dales 1991.
Der BVD müsse die spezifische Situation von Asylsuchenden berücksichtigen. „Für Informanten allgemein, und deshalb auch für Asylsuchende, gilt, dass schon der bloße Kontakt mit dem BVD ein Risiko physischer oder anderer Vergeltungsmaßnahmen mit sich bringen kann.“ Der BVD dürfe deshalb nie nach außen dringen lassen, wenn er Kontakt mit einem Asylsuchenden hergestellt habe – es sei denn, dass der Betroffene dies bewusst selbst in die Öffentlichkeit bringt. Auch dürften Daten aus der Ausländerakte nie an den Herkunftsstaat weitergegeben werden.
Eine klare Vorgabe, die am 13. Januar 1995 auch der neue Innenminister Hans Dijkstal laut und deutlich vor dem Parlament bekräftigte: „Angesichts der verletzlichen Situation von Asylsuchenden halte ich daran fest, dass der BVD in dieser Frage äußerste Sorgfalt zu wahren und sich strikt an die Regeln zu halten hat. „Eventuelle Klagen werde ich genauestens untersuchen.“
Eine neue Untersuchung
Anfang 1998 muss sich der Asylanwalt Cornhert Schoorl aus Alkmaar mit einer ganz besonderen Angelegenheit befassen: Es geht um zwei irakische Flüchtlinge. „Der eine“, so erzählt Schoorl, „war persönlicher Sekretär von Saddam Hussein gewesen, der andere war ein Rechtsanwalt. Die sind über den Nordirak in die Niederlande geflohen.“ Nach eigenen Aussagen habe ihnen die CIA bei der Flucht geholfen und sie auch mit gefälschten Pässen ins Flugzeug gesetzt. Nach der Ankunft auf dem Amsterdamer Flughafen Schiphol hat man sie direkt zum Grenshospitium, dem Ausländergewahrsam im Südosten Amsterdams gebracht. Auf einer abgetrennten Abteilung wurden sie dann, so Schoorl, tagelang verhört. „Erst später habe ich begriffen, dass da der BVD, der heutige AIVD die Vernehmungen durchgeführt hat.“ Zunächst untersagt man Schoorl den Zugang zu seinen Mandanten. Nach einer Woche darf er dann den Rechtsanwalt sprechen. Der andere bleibt spurlos verschwunden. Schoorl betreute den irakischen Anwalt während des gesamten Asylverfahrens.
Sein Mandant erhält noch regelmäßig Besuch von einem Herrn „Bert“ vom BVD. „Dieser BVDler hat meinem Mandanten versprochen, seinen Aufenthaltsstatus zu regeln, wenn er ihm Informationen liefere“, versichert Schoorl. Als Schoorl dies bei der Anhörung im Asylverfahren zur Sprache brachte, „sackten den Kommissionsmitgliedern die Kinnladen herunter und der Vorsitzende nahm das sehr ernst. Ich habe von ihnen auch gefordert, dies bei der Einwanderungsbehörde (IND) zur Sprache zu bringen. So etwas darf es nicht geben. Jetzt wo es doch passiert ist, müsst ihr alles tun, um dem Mann entgegenzukommen. Kurz danach erhielt er seine Aufenthaltsgenehmigung, ich kann mir nicht vorstellen, dass das nichts miteinander zu tun hatte.“
Der in AIVD umbenannte BVD kann einen ständigen Machtzuwachs verbuchen. So sollen in Zukunft vertrauliche Informationen des Dienstes als Beweismittel in Terrorismus-Strafverfahren zugelassen werden. Justizminister Donner hat der zweiten Kammer des Parlaments einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Danach soll der AIVD auch eine Datenbank betreiben, in der er seine eigenen Daten mit Informationen der Ausländerbehörden abgleicht. Wenn sich aus dem Abgleich Vermutungen ergeben, dass eine Person etwas mit terroristischen Organisationen zu tun haben könnte, soll ihr der Zugang zu den Niederlanden untersagt werden.
Ob sich der AIVD selbst an die gesetzlichen Vorschriften hält, muss genauer untersucht werden. Eine öffentliche Kontrolle des Dienstes ist fast unmöglich. Die parlamentarische Kontrollkommission darf über ihre Zusammenkünfte mit VertreterInnen des AIVD nichts nach außen tragen. Seit März 2003 beugt sich eine Aufsichtskommission über die Frage, ob sich der BVD bei der Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgaben tatsächlich an das Gesetz erhält. Allerdings hat die Kommission keine Weisungsbefugnisse.
In den 90er Jahren hat sich das Büro „Jansen & Janssen“, das die Arbeit von Polizei und Geheimdiensten kritisch verfolgt, über AIVD-Informanten Einblick in die Arbeitsweise des Dienstes verschafft. Das Büro konnte feststellen, dass sich der AIVD intensiv Informationen bei Asylsuchenden beschafft. Das betraf den Bereich Terrorismus, den Islam, die militärische und politische Situation in den Herkunftsländern der Flüchtlinge, politische Immigrantenorganisationen in den Niederlanden und den Menschenschmuggel.
Jansen & Janssen kennt mehrere Fälle, bei denen der AIVD – trotz des strikten Verbots durch die aufeinander folgenden Innenminister und das Parlament – Asylsuchenden ein Bleiberecht versprach, wenn sie ihm Informationen lieferten. Damit verletzt der Dienst das Recht der Flüchtlinge auf eine ehrliche und gleiche Behandlung ihrer Asylanträge.
„Nimm nun endlich deinen Computer“
1997 stellte ein Mitarbeiter der Fremdenpolizei dem Asylbewerber Ahmed einen BVD-Agenten namens „Freek“ vor. „Er erzählte mir von einem Brief des Sicherheitsrates, wonach gegen mich ein Verfahren laufe.“ Es folgte eine Serie von Gesprächen, die sich vor allem um die Organisation drehten, in der Ahmed aktiv gewesen war. Die Treffen mit Freek mussten immer außerhalb des Asylzentrums stattfinden. „Ich sollte das geheim halten und weder meinem Anwalt noch meiner Frau etwas davon erzählen.“ Die Arbeit für den Geheimdienst würde sich positiv auf das Asylverfahren auswirken. „Er gab mir Namen von Leuten, die ich ausfragen sollte.“ Später bot Freek auch einen Computer mit Internetanschluss an, der ihm die Kontaktaufnahme mit diesen Leuten erleichtern sollte. Ahmed weigerte sich zunächst.
Trotz der Versprechungen des BVD hinsichtlich einer positiven Wirkung auf das Asylverfahren startete der Einwanderungsdienst (IND) 1998 ein Abschiebeverfahren gegen Ahmed. Er sei Kriegsverbrecher und habe deshalb keinen Anspruch auf Asyl „Freek sagte, ich sollte mir deswegen keine Gedanken machen.“ 1999 wurde Freek durch seinen Kollegen Voortman abgelöst, der härter auf den Internetanschluss drängte. „Ich habe den Computer dann genommen, ich hatte wirklich Angst, abgeschoben zu werden. Die Gespräche fanden dann plötzlich einmal pro Woche statt und jedes Mal musste ich via Internet Kontakt mit Menschen in den Niederlanden, Deutschland und England aufnehmen.“ Im Verfahren des IND wurde Ahmed im Jahre 2001 mit einem Bericht des Innenministeriums konfrontiert, in dem er beschuldigt wird, Kontakte zu Terroristen zu unterhalten. Der Richter kann ihn auf der Grundlage dieser Beschuldigung aus dem Asylverfahren ausschließen. „Ich war erstaunt und wütend zugleich, die Kontakte hatte ich auf Wunsch des AIVD unterhalten und nun kam dasselbe Ministerium mit solchen Beschuldigungen.“
Ahmed fragte nun Voortman, „ob er nichts tun könnte, zum Beispiel klarmachen, dass ich im Auftrag des AIVD gearbeitet habe.“ Voortman wehrte jedoch ab, der AIVD habe nichts mit dem Bericht zu tun und er selbst könne da auch nichts machen. „Ich habe ihn dann noch einmal nach einer schriftlichen Bestätigung unserer Kontakte und meiner Hilfe für den AIVD gefragt. Als er auch das verweigerte, habe ich sofort aufgehört, mich mit ihm zu treffen.“
Der V-Mann-Führer
So wie in diesem Falle arbeitet der BVD oft, und das Widerwärtige daran ist: Die Betroffenen finden mit ihrer Geschichte nirgends Gehör. Um seine Kontakte mit dem AIVD belegen zu können, beantragte Ahmed gestützt auf das Gesetz über die Öffentlichkeit der Verwaltung Einsicht in die Akten, die der Geheimdienst über ihn angelegt hatte. Der Antrag wurde abgelehnt. Der AIVD kann die Einsicht verweigern, wenn die Daten noch aktuell sind. Der Dienst soll nie offen legen, wen er als Informanten führt – auch wenn es der Betroffene selbst ist, der darum bittet. Auch ein kürzliches Telefonat mit Voortman, seinem letzten V-Mann-Führer, brachte Ahmed nicht weiter. Als er Freek zu sprechen verlangte, lehnte Voortman das ebenfalls ab. Ahmed erhielt letztendlich keine Aufenthaltserlaubnis, will aber gegen diese Entscheidung in Berufung gehen. Auf der Grundlage solcher Fälle haben die Parlamentarier Jan de Wit (SP) und Boris Dittrich (D66) Anfragen über die Praktiken des Geheimdienstes an die Minister Johan Remkes (Inneres) und Rita Verdonk (Ausländerangelegenheiten und Integration) gerichtet. Die Antwort: „Natürlich“ halte sich der AIVD an die Vorschrift, dass keine positiven oder negativen Sanktionen in Aussicht gestellt werden dürfen.
Dass der AIVD in Ausnahmefällen sehr wohl den Aufenthaltsstatus eines Informanten regelt, zeigt der Fall eines irakischen Kriegsverbrechers, der eine hohe Funktion im irakischen Geheimdienst Mughabarat innegehabt hatte. Seine Karriere verdankte er seinem Bruder, einem hohen Funktionär des Regimes, der für Waffenkäufe in Europa zuständig war, dann aber wegen einer angeblichen Verschwörung gegen Saddam Hussein in Schwierigkeiten kam und schließlich exekutiert wurde. Auch unser Mann selbst saß mehrere Jahre im Gefängnis.
Ende der 70er Jahre war er für grenzüberschreitende Aktionen gegen die Regierung des Schahs von Persien zuständig gewesen. Für den Mughabarat führte er Informanten im Ausland. Danach war er lange Zeit im irakischen Kurdistan aktiv und dabei auch beteiligt an den Giftgasangriffen. Seine Geschichte ist eine der Grausamkeit und einer Unzahl von Liquidierungen. Irakische Kurden in verschiedenen Asylzentren erkannten ihn. Seine Anwesenheit verursachte große Unruhe.
Für den AIVD muss dieser Mann und das, was er über die Arbeit seines Bruders wusste, sehr interessant gewesen sein. Aus internen Akten geht hervor, dass er in der Tat sehr viel wusste, viel auf seinem Gewissen hatte und außerdem bereit war zu reden. Auf der Grundlage der Informationen, die er gab, hätte er eigentlich als Kriegsverbrecher angeklagt werden müssen. Stattdessen erhielt er Asyl.
Waffenfabriken
Der AIVD befragt regelmäßig Flüchtlinge, ohne sich ihnen zu erkennen zu geben. Das erlebte auch der iranische Asylbewerber Kader, der 1993 in die Niederlande geflüchtet war. Kader ging im Oktober 1993 wie gewöhnlich zur Fremdenpolizei, um seine vorläufige Aufenthaltsbewilligung verlängern zu lassen. Dieses Mal wurde er allerdings in ein separates Zimmer weiterverwiesen. „Da saß ein Mann um die Vierzig, der sich als Van Boven vorstellte“, erzählt Kader. „Der sagte mir, ‚you must answer my questions‘. Ich wusste es nicht besser und dachte, dass das zum Verfahren gehört.“ Van Boven war ein Militärexperte. Er fragte Kader über Raketen, über die militärische Zusammenarbeit des Iran mit anderen Ländern, die dort angewandten Technologien, die Herkunft des Materials, die Standorte von Waffenfabriken usw. Es folgten noch mehrere weitere Gespräche. Aber weil die Verständigung auf Englisch schwierig war, nahm Kader einen Bekannten als Übersetzer mit. Dieser machte Kader nach dem Gespräch klar, dass Van Boven ein Geheimdienstmann war. Van Boven brach den Kontakt dann ab.
Ein Ex-Mitarbeiter der Fremdenpolizei bestätigte diese Arbeitsweise des Geheimdienstes. „Die wussten auf die eine oder andere Weise, wann z.B. bestimmte Leute aus Surinam kamen, und fragten dann: ‚Kann ich bei der Einvernahme dabei sein?‘, oder ‚Können Sie für mich ein paar Fragen stellen?‘. Sie werden den Asylsuchenden vorgestellt als Mitarbeiter des Fremdendienstes. Selbst stellten sie keine Fragen. Wir mussten uns an die Fragen einer ausländerrechtlichen Vernehmung halten. In den Pausen teilten sie dann mit, worüber sie gerne mehr hören wollten. Und dann haben wir das auch gefragt.“
In seiner Antwort auf Fragen der Fraktionen von „Grün-links“ und SP erklärte der verantwortliche Minister Klaas de Vries am 2. Januar 2002, dass der IND keine Fragen im Auftrag des BVD an Asylsuchende stelle. Bevor Hilbrand Nawijn (LPF) Minister für Ausländerangelegenheiten wurde, stellte er von 1990 bis 1996 als Chef des IND nach eigenen Angaben die Kontakte mit dem BVD her. Zu Beginn der 90er Jahre hatten diese Kontakte noch einen informellen Charakter. Nawijn verfügte, dass der BVD nur über das von ihm eingerichtete Büro für Spezialangelegenheiten (BBZ) mit dem IND Kontakt aufnehmen konnte. Laut Nawijn konnten Fragen des BBZ indirekt vom BVD stammen.
Auch interne Dokumente von IND und AIVD, die Jansen & Janssen gestützt auf das Gesetz über die Öffentlichkeit der Verwaltung erhielt, widersprechen den Bekundungen der aufeinander folgenden zuständigen Minister. Aus einem Brief des BVD von 1995 geht hervor, dass einer seiner Mitarbeiter neun Monate lang zum IND abgeordnet war. Laut BVD „war die Überlassung des Mitarbeiters für die Entwicklung der gegenseitigen Beziehungen nützlich. Die ständige Entsendung eines BVD-Beamten zum BBZ, der Spezialabteilung des IND, bringt gegenüber den bereits aufgebauten Kontakten wenig Neues.“ Verschiedene Quellen belegen, dass der AIVD mindestens bis 2002 Mitarbeiter im IND stationiert hatte. Im Juni 2003 haben die beiden Dienste eine Vereinbarung über die Verbesserung des gegenseitigen Informationsaustauschs geschlossen, gemäß der es in einer Reihe von Fragen eine strukturierte Zusammenarbeit geben soll.
In einer Reihe von Briefen aus dem Jahre 1997 ist die Rede von einer Kategorie von „Ausländern“, bei denen keine Aufenthaltserlaubnis in Frage kommt, die aber über Informationen verfügen, die für eine adäquate Aufgabenerfüllung des BVD von großem Belang sind.“ Gemäß einem Schreiben des BBZ an den BVD vom 7. Januar 1997, ist es „,am Staatssekretär für Justiz zu beurteilen, ob das ursprüngliche Vorhaben, die betreffenden Personen abzuschieben, aufrecht erhalten werden soll.“ Aus einem Schreiben der Direktion für Staatssicherheit vom 14. Februar 1997 wird deutlich, dass Mitarbeiter des IND sich mit dem BVD „abstimmen, um zu vermeiden, dass der Dienst Aktivitäten unternimmt, die möglicherweise zu Komplikationen wie z.B. parlamentarischen Anfragen führen könnten.“ Der IND will nicht sagen, ob der Staatssekretär von seiner Befugnis Gebrauch gemacht hat, Asylsuchenden, die mit dem AIVD zusammenarbeiten, eine Aufenthaltsbewilligung zu verschaffen.