Polizeiliche Todesschüsse 2001

von Otto Diederichs

Während der Schusswaffengebrauch bei der Polizei in den Jahren 1999 mit 3.410 und 2000 mit 3.594 Fällen relativ stabil war, haben deutsche Polizisten im vergangenen Jahr wieder deutlich häufiger zu ihrer Schusswaffe gegriffen. Mit insgesamt 4.172 Waffeneinsätzen liegt deren Zahl um mehr als 500 Fälle über der des Vorjahres.

Bei seiner Vorstellung der offiziellen Schusswaffengebrauchsstatistik erklärte der amtierende Vorsitzende der Innenministerkonferenz (IMK), Bremens Innensenator Kuno Böse, diese rasante Zunahme damit, dass die Beamten im Jahre 2001 ihre Schusswaffen öfter gegen gefährliche, verletzte oder kranke Tiere hätten einsetzen müssen. Dies sei 3.950 Mal der Fall gewesen, während es im Jahre 2000 nur 3.382 Schüsse gewesen seien.

Zu Widersprüchen zwischen den Angaben des IMK-Vorsitzenden und den der CILIP-Redaktion vorliegenden Informationen kommt es auch diesmal wieder bei der Zahl der durch Polizeischüsse tödlich verletzten Menschen. In der amtlichen IMK-Statistik werden lediglich fünf derartige Fälle aufgeführt. Doch selbst bei der bekanntermaßen eigenwilligen Zählweise der IMK, die seit 1983 so genannte „unbeabsichtigte Schussabgaben“ auch dann nicht mehr mitzählt, wenn sie zu tödlichen Folgen führten, kann diese Angabe nicht stimmen. Nach CILIP-Recherchen starben im Jahr 2001 insgesamt acht Personen.

Allenfalls ein Fall aus Baden-Württemberg (Fall 7) könnte dabei nach den Kriterien der IMK-Statistiker als „unbeabsichtigte Schussabgabe“ mit Todesfolge gelten. Bei diesem Fall ging im August 2001 bei einer Polizeidienststelle ein nächtlicher Einbruchsalarm von einer Möbelfabrik aus Gruibingen ein. Zwei Polizeibeamte durchsuchten daraufhin die Firma ohne dort jedoch etwas zu finden. Beim Verlassen des Gebäudes löste sich dann aus der Maschinenpistole eines Beamten ein Schuss, der seinen Kollegen tödlich traf. Bei allen anderen bekannt gewordenen Fällen liegen die Verhältnisse hingegen gänzlich anders und schließen, den vorliegenden Informationen zufolge, eine unbeabsichtigte Schussabgabe im Grunde aus. In allen Fällen waren die Polizisten zuvor mit Schusswaffen, schusswaffenähnlichen Gegenständen oder Stichwaffen angegriffen und teilweise verletzt worden.

Welche Gründe dazu führten, dass dennoch mindestens zwei Fälle nicht in die Schusswaffengebrauchsstatistik der Innenministerkonferenz eingegangen sind, wird sich allerdings mit den Recherchemöglichkeiten von CILIP nachträglich nicht aufklären lassen. Anders als das „Institut für Bürgerrechte & öffentliche Sicherheit“, das jeweils Falldokumentationen erstellt, veröffentlicht die IMK lediglich nackte Zahlen. Nur sie selbst wäre also in der Lage, durch eine Nacherhebung bei den Länderinnenministerien festzustellen, welche Fälle in welchen Bundesländern und aus welchen Gründen nicht in ihre Statistik eingegangen sind.

Verletzt wurden durch Polizeischüsse im vergangenen Jahr bei insgesamt 68 abgegebenen Schüssen 26 Menschen (2000: 52 Schüsse, 30 Verletzte; 1999: 53 Schüsse, 33 Verletzte). Warnschüsse wurden im Jahr 2001 insgesamt 116 abgegeben (2000: 120; 1999: 107) und 38 Mal schossen Polizeibeamte auf Sachen wie beispielsweise Fahrzeuge oder Reifen (2000: 40; 1999: 23).

Fall 1 2 3 4
Name/Alter Mike L., 23 J. unbekannter Mann, 24 J. Ali C., 25 J. unbekannter Türke, 22 J.
Datum 29.1.2001 5.3.2001 7.3.2001 3.4.2001
Ort/Bundesland Berlin/Berlin Nürnberg/Bayern Köln/Nordrhein-Westfalen Mannheim/Baden-Württemberg
Szenarium Durch eine Telefonüberwachung erfährt die Polizei vom bevorstehenden Über­fall auf einen Supermarkt. Sondereinsatzbeamte um­stellen daraufhin die Umgebung. Als drei maskierte Räuber mit gezogenen Pistolen den Markt stürmen, greifen die Beamten im Vorraum ein. Dem Haupttäter gelingt die Flucht. Mit erhobener Waffe rennt er auf zwei SEK-Beamte zu. Daraufhin schießt ein Kollege dreimal auf den Täter. Einer der Schüsse dringt seitlich in den Oberkörper ein, der zweite trifft in den Rücken. Der Täter stirbt im Krankenhaus. Nach einem Benzindiebstahl an einer Autobahn-Rastanlage flieht ein Freigänger, nach dem bereits gefahndet wird. Nach einer Verfolgungsjagd über ca. 90 km, bei der der Täter mehrfach versucht, die ihn verfolgenden Polizeibeamten abzudrängen, gerät er auf der Autobahn ins Schleu­dern und prallt ge­gen die Leitplanke. Beim Aussteigen bedroht der Mann die Poli­zisten mit einer Waf­fe. Daraufhin schießt ein Beamter auf ihn, der zweite gibt zwei Schüs­se aus einer Maschinen­pistole ab. Einer der Schüsse trifft den Täter tödlich in den Hinterkopf. Während eine Hundertschaft der Kölner Bereitschaftspolizei zu einem Einsatz fährt, drängt sich ein Privat-PKW in die Kolonne und stoppt plötzlich. Der Fahrer springt aus dem Wagen und bedroht die Beamten des hinter ihm stehenden Busses mit einer Pistole. Als mehrere Polizisten aus ihren Einsatzwagen springen, flieht er. Insgesamt fallen nun sechs Schüsse. Davon treffen fünf den Mann in Oberarm, Oberschenkel, Kinn. Schulterblatt und Nacken. Der Nackentreffer ist tödlich. Nach einem Streit, bei dem der Täter seine Mutter und einen Nachbarn mit einem Messer lebensgefährlich verletzt, geht er in seine Wohnung im Nachbarhaus zurück. Als herbeigerufene Polizeibeamte ihn auffordern, heraus zu kommen, schießt er aus seinem Fenster auf die Polizisten. Daraufhin erwidern drei Beamte das Feuer und treffen ihn drei Mal in den Oberkörper. Der Mann stirbt kurz darauf im Krankenhaus.
Opfer mit Schusswaffe Ja (Gaspistole) Ja (Spielzeugpistole) Ja (Schreckschusspistole) Ja (Schreckschusspistole)
Schusswechsel Nein Nein Nein Ja
Sondereinsatzbeamte Ja Nein Nein Nein
Verletzte/getötete Beamte Nein Nein Nein Nein
Vorbereitete Polizeiaktion Ja Nein Nein Nein
       
Fall 5 6 7 8
Name/Alter unbekannter Mann, 27 J. Marame Wegener, 26 J. Polizeibeamter, 40 J. unbekannter Mann, 44 J.
Datum 12.6.2001 14.7.2001 5.8.2001 24.12.2001
Ort/Bundesland Olpe/Nordrhein-Westfalen Aschaffenburg/Bayern Gruibingen/Baden-Württemberg Leinburg/Bayern
Szenarium Ein verwirrter, mit einem Schraubenzieher bewaffneter Mann äußert auf der Stra­ße Selbstmordabsichten. Drei Polizeibeamte ver­su­chen ihn zu überreden, zu einem Arzt zu fahren. Als er sich zu Fuß aufmacht, be­gleitet ihn ei­ner der Poli­zis­ten. Sei­ne Kollegen folgen ihnen. Un­vermittelt sticht der Mann dem Beamten den Schraubenzieher in den Kopf und verletzt ihn lebensgefährlich. Sein Kollege setzt er­folglos Pfefferspray ein und wird ebenfalls angegriffen und am Hals verletzt. Dann schießt er dem Mann in den Oberarm. Als dieses den Angriff nicht stoppt, schießt er ein weiteres Mal und trifft den Mann tödlich in den Hals. Die Polizei wird zu einem Streit um das Sorgerecht für das Kind eines in Trennung lebenden deutsch-afrika­nischen Ehepaares gerufen. Im Verlauf der Auseinandersetzung ergreift die Frau ein Brotmesser und sticht auf einen der Beamten ein. Er wird an der Hand verletzt und stürzt. Als die Frau ihren Angriff fortsetzt, gibt der andere Polizist einen Schuss auf sie ab. Das Projektil zertrümmert das Schlüsselbein der Frau, ein Knochensplitter durchtrennt dabei ihre Schlagader. Die Frau verblutet innerlich und stirbt im Krankenhaus. Nach einem nächtlichen Einbruchalarm durchsuchen zwei Polizeibeamte eine Möbelfabrik, sie finden jedoch nichts. Beim Verlassen des Gebäudes löst sich aus der Maschinenpistole eines Beamten ein „unbeabsichtigter“ Schuss und trifft seinen Kollegen ins linke Schulterblatt und tödlich in die Lunge. Der Mann verblutet. Ein vorbestrafter Gewalttäter dringt in die Wohnung seiner früheren Freundin ein und bedroht sie und ihren Freund mit einem Messer. Nachdem beide flüchten konnten, legt er Feuer. Als ihn die eintreffenden Polizisten auffordern, die Wohnung zu verlassen, greift er zwei der im Flur stehenden Beamten mit dem Messer an. Daraufhin gibt einer der Polizisten aus rund eineinhalb Metern sechs Schüsse auf den Mann ab. Er wird in Bauch, Brust und Schulter getroffen und verblutet kurz darauf.
Opfer mit Schusswaffe Nein (Schraubenzieher) Nein (Brotmesser) Ja (Dienstwaffe) Nein (Messer)
Schusswechsel Nein Nein Nein Nein
Sondereinsatzbeamte Nein Nein Nein Nein
Verletzte/getötete Beamte Ja Ja Ja Nein
Vorbereitete Polizeiaktion Nein Nein Nein Nein
Otto Diederichs ist freier Journalist in Berlin.