Zum Schwerpunkt
Die Literatur zur „Kriminalisierung von AusländerInnen“ in Deutschland ist umfangreich – freilich handelt es sich dabei weitgehend um Elemente des Kriminalisierungsprozesses selbst und nicht um Beiträge über diesen. „Kriminelle Ausländer“ sind häufig Gegenstand der polizeilichen Publizistik. Die seit den 60er Jahren geführte Diskussion über „Ausländerkriminalität“ ist seit Mitte der 80er um andere Themen erweitert worden, die im Kern als ein Ausländerproblem dargestellt werden: Das reicht von den Kampagnen gegen Rauschgift- und Organisierte Kriminalität bis zum angeblichen Sicherheitsverlust durch den Wegfall der westeuropäischen Grenzkontrollen. Wer nach dem polizeilichen Kriminalisierungsdiskurs – und nach Hinweisen auf entsprechende Praktiken – sucht, der/die wird in nahezu beliebigen Polizeiveröffentlichungen mehr als fündig werden. Im Folgenden kann nur auf einige wenige Publikationen hingewiesen werden.
Bundeskriminalamt (Hg.): Ausländerkriminalität in der Bundesrepublik Deutschland (BKA-Vortragsreihe, Bd. 34), Wiesbaden 1989
Bundeskriminalamt (Hg.): Ausländerkriminalität in der Bundesrepublik Deutschland. Arbeitstagung des Bundeskriminalamtes Wiesbaden vom 18. bis 21. Oktober 1988 (Literaturdokumentation, Bd. 8), Wiesbaden 1988
Die anlässlich der BKA-Jahrestagung von 1988 entstandene Bibliografie enthält Abstracts von 210 Veröffentlichungen aus dem polizeilichen, juristischen und kriminologischen Bereich, die zwischen 1978 und 1988 erschienen sind. Neben kriminologischen (und kritischen) Beiträgen von B. Villmow und M. Walter enthält der Tagungsband den für das nächste Jahrzehnt wegweisenden Dreiklang in der polizeilichen und politischen Diskussion: Bedrohungsszenarien werden gezeichnet (Organisierte Kriminalität, Rauschgift, Terrorismus), Forderungen nach verstärkter internationaler Zusammenarbeit der Polizeien werden erhoben (Rechtshilfe, Interpol), und die Kooperation mit den Ausländerbehörden wird verlangt (Visa-Pflichten erweitern, Abschiebungen erleichtern).
Mansel, Jürgen: Die Selektion innerhalb der Organe der Strafrechtspflege am Beispiel von jungen Deutschen, Türken und Italienern. Eine empirische Untersuchung zur Kriminalisierung durch formelle Kontrollorgane, Frankfurt/M., Bern, New York, Paris 1989
Was hinter der hohen registrierten Kriminalität der Nichtdeutschen steht, wird in dieser empirischen Untersuchung über jugendliche Tatverdächtige erhellt. Die hohen Fallzahlen ausländischer Jugendlicher in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) werden nicht auf vermehrte Kriminalität in diesen Gruppen zurückgeführt, sondern auf die erhöhte Anzeigebereitschaft der deutschen Bevölkerung und einen generalisierten Verdacht gegenüber AusländerInnen.
Geißler, Rainer: Das gefährliche Gerücht von der hohen Ausländerkriminalität, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament 45. Jg., 1995, H. 35, S. 30-39
Das Geheimnis des hohen Ausländeranteils in der PKS wird in diesem Aufsatz entschlüsselt. Wer, so die Argumentation Geißlers, die Unterschiede zwischen Deutschen und Nichtdeutschen in sozioökonomischer und demografischer Hinsicht aus den PKS-Zahlen herausrechnet, der muss (überrascht) feststellen, dass AusländerInnen gesetzestreuer als Deutsche sind.
Walter, Michael; Kubink, Michael: Ausländerkriminalität – Phänomen oder Phantom der (Kriminal-)Politik?, in: Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform (MSchrKrim) 76. Jg., 1993, H. 5, S. 306-317
Nicht allein deren Ausmaß, sondern bereits der Begriff „Ausländerkriminalität“ wird in diesem Aufsatz in Frage gestellt. Kriminologisch sei die Kategorie „unvertretbar“. Ein direkter Zusammenhang zwischen Staatsangehörigkeit und Kriminalität sei weder plausibel noch nachgewiesen. In der Regel handele es sich um Scheinkorrelationen, weil ein Zusammenhang zur sozialen Lage, zum Wohnort, Alter oder Geschlecht besteht. Die Rede von der Ausländerkriminalität führe in die Irre. Dass dennoch hartnäckig an einer sachlich unsinnigen Kategorie festgehalten wird, erklären die Autoren mit dem Verweis auf die Interessen von Polizei und Politik: „Ausländerkriminalität als Feindbild“ legitimiere den Ausbau der Kontrollapparate und diene der „sozialen Entlastung“ in Zeiten der wirtschaftlichen Krise.
Stadler, Willi; Walser, Werner: Verzerrungsfaktoren und Interpretationsprobleme der PKS unter besonderer Berücksichtigung ausländischer Staatsangehöriger (Texte – Schriftenreihe der Fachhochschule Villingen-Schwenningen, Nr. 22), Villingen-Schwenningen 1999
Die drei Teilstudien dieser Untersuchung bestätigen die Befunde über die Benachteiligung von AusländerInnen durch die Polizei. Der Vergleich zwischen PKS-Meldungen und den ihnen zugrunde liegenden Akten ergab, dass der polizeiliche „Kontrolldruck gegenüber Nichtdeutschen um 21% höher liegt als bei Deutschen“. Die polizeiliche Praxis führe zu einer „selektiven Aufhellung des Dunkelfeldes“, d.h. Nichtdeutsche werden eher von der Polizei erwischt als Deutsche. Die Untersuchung stellte auch verschiedene Praktiken der Übererfassung fest, die sich zu Lasten der AusländerInnen auswirkten. „Damit wird deren ohnehin problematische Sündenbockrolle verstärkt, und Vorurteile werden ungerechtfertigt und scheinbar bestätigt.“
Weichert, Thilo: Kommentar zum Ausländerzentralregistergesetz, Neuwied 1998
Über den Umfang der staatlichen Registrierung und Kontrolle von AusländerInnen sowie über die Verwendung der gespeicherten Daten gibt dieser Kommentar Auskunft.
Ahlheim, Klaus; Heger, Bardo: Vorurteile und Fremdenfeindlichkeit. Handreichungen für die politische Bildung der Polizei, Schwalbach/Ts. 1998 (Wochenschau Verlag), 377 S., DM 34,-
Dem Abbau der Vorurteile innerhalb der Polizei gilt diese Veröffentlichung. Die „Handreichungen“ stellen einen in fünf Einheiten gegliederten Lehrplan dar, der mit Unterstützung der Polizei-Führungsakademie entstanden ist. Die Einheiten gelten der „Natur des Vorurteils“, dem Zusammenhang zwischen Einstellungen und Orientierungsmustern, Vorurteilen in der Öffentlichkeit und „in der Mitte der Gesellschaft“ sowie den Ausprägungen von „Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus ganz rechtsaußen“. Das Buch ist an alle adressiert, die in der polizeilichen Aus- und Fortbildung tätig sind. Die einzelnen Module sind mit didaktischen Hinweisen, mit kopierfähigen Vorlagen, aktuellen Meldungen und Hintergrundtexten versehen. Wer diese Sammlungen durcharbeitet, wird erheblich mehr über die Merkmale, die Ursachen, die Folgen und die Allgegenwart von Vorurteilen wissen. Trotz der gegenteiligen Ankündigung bleiben die Einheiten jedoch sehr „kopflastig“. Rollenspiele und Kleingruppenarbeit dienen allein der kognitiven Wissensvermittlung. Selbst wenn die Inhalte des eigentlich lobenswerten Bandes massenhaft umgesetzt würden, blieben die Wirkungen eines solchen Ansatzes vermutlich eher bescheiden.
Fricke, Gerhard; Engberding, Rainer O.M.; Holz, Claus-Peter u.a.: Politisch motivierte Straftaten II: Politisch motivierte Ausländerkriminalität, Landesverrat und verwandte Straftaten (Lehr- und Studienbriefe Kriminologie, Nr. 11), Hilden 1995
Der erste Teil des Lehr- und Studienbriefes gilt der „politisch motivierten Ausländerkriminaliät“, wobei das „Kurdenproblem“, das „Palästinaproblem“ und der „islamische Fundamentalismus“ besonders hervorgehoben werden. Die Darstellung bettet Erkenntnisse über Ausmaß, Taten und Täter in allgemeine Betrachtungen über Ausländer und Kriminalität ein. So wird auf der einen Seite nicht verschwiegen, dass 99% der AusländerInnen in Deutschland die Gesetze einhalten, auf der anderen Seite findet sich auch der Merksatz „Ausländerkriminalität verursacht Schäden – nach außen: Ansehensverlust, nach innen: Fremdenfeindlichkeit“. Mit anderen Worten: Die Ausländer sind schuld an den Anschlägen, die auf sie verübt werden. Dementsprechend verwundert es nicht, dass in den wenigen Seiten über Kurden und PKK die türkische Kurdenpolitik, die immerhin die Ursache für das westeuropäische „Kurdenproblem“ ist, verschwiegen wird. Statt dessen zitiert man das türkische Innenministerium mit Angaben über die Opfer der PKK-Anschläge.
Schultz, Eberhard: Zehn Jahre grenzüberschreitende Kurdenverfolgung, Köln 1998
Wie sich das „Kurdenproblem“ in Deutschland für die Kurden darstellt, wird in dieser Veröffentlichung deutlich. Dargestellt wird die polizeiliche und strafrechtliche Verfolgung der PKK von Mitte der 80er bis zum Ende der 90er Jahre: der Düsseldorfer PKK-Prozess und spätere § 129a-Verfahren, das PKK-Verbot, das Abschiebeabkommen mit der Türkei, die Zusammenarbeit türkischer und deutscher Geheimdienste. Der Band enthält außerdem einige kleinere Beiträge, so eine Würdigung des Halin-Dener-Prozesses von Rolf Gössner und eine Chronologie der Proteste, polizeilichen Maßnahmen und politischen Initiativen, die auf das PKK-Verbot folgten.
Sonstige Neuerscheinungen
Lorei, Clemens: Der Schußwaffeneinsatz bei der Polizei. Eine empirisch-psychologische Analyse, Berlin 1999 (Wissenschaftlicher Verlag Berlin), 355 S., DM 68,-
Der Schusswaffengebrauch ist die extremste Form polizeilicher Gewaltanwendung. Die Bedingungen, unter denen PolizistInnen schießen, detailliert zu analysieren, bedarf deshalb keiner Begründung. Die vorliegende Untersuchung unternimmt eine solche Analyse auf zwei Wegen. Der erste (theoretische) Teil widmet sich den Bedingungen des Schusswaffeneinsatzes aus psychologischer Sicht; im zweiten Teil wird eine empirische Untersuchung an PolizeischülerInnen vorgestellt. Weite Strecken des Textes gelten der Diskussion psychologischer Theorien sowie der Darstellung verschiedener Messinventare und -ergebnisse. Diese Passagen sind für den Nichtpsychologen nur schwer verständlich. Auch in der Beschreibung eher schlichter Vorgänge bemüht der Autor eine nicht immer leserInnenfreundliche Sprache (z.B. „Die Reversibilität des Phasenübergangs ist phasenübergreifend“, S. 37). Trotz dieser Schwierigkeiten handelt es sich bereits deshalb um eine interessante Veröffentlichung, weil der Kontext des Untersuchungsgegenstandes umfassend vorgestellt wird: etwa Zahlen zum Ausmaß des Schusswaffengebrauchs, dessen Regulierung durch Gesetze und Dienstvorschriften, Details der Polizeiausbildung (am Beispiel Hessens). Ob die Polizeiwaffe in einer Situation gebraucht wird, hängt nach der Analyse des Autors von 61 internen und externen Faktoren ab, die von der Helligkeit des Ortes bis zu „metakognitiven Fähigkeiten“ des Polizisten/der Polizistin reichen (S. 48). Durch die Komplexität des Gegenstandes sieht Lorei sich zu einem erheblichen kategorialen Aufwand gezwungen. Die Befunde, die er präsentiert, können dieses Niveau leider nicht halten. In seiner empirischen Untersuchung (an PolizeischülerInnen in Wiesbaden) konnte er keine Einstellungsveränderungen während der Ausbildung feststellen. Und die Empfehlungen für die Schießausbildung (S. 319f.) – etwa fähigkeits- und regelbasiertes Verhalten gegenüber wissensbasiertem zu verstärken – nimmt der Autor dadurch zurück, dass er ausdrücklich vor unmittelbaren praktischen Konsequenzen aus seiner Arbeit warnt (S. 71, 91, 319). P.S.: Wer sich für den polizeilichen Schusswaffeneinsatz interessiert, sei auf die Homepage des Autors verwiesen: http://www.schusswaffeneinsatz.de
Lampe, Klaus von: Organized Crime. Begriff und Theorie organisierter Kriminalität in den USA, Bern, Berlin, Frankfurt/M. u.a. 1999 (Peter Lang Verlag), 391 S., DM 118,-
„Organized crime“ ist ein ursprünglich US-amerikanisches Phänomen. Das gilt sowohl für das mit dem Begriff verbundene Konzept von Kriminalität wie für die Realität, die durch den Begriff erfasst werden soll. In Deutschland dienen die Verweise auf die USA regelmäßig als Argumente für die Gefährlichkeit Organisierter Kriminalität. Insofern war eine Arbeit längst fällig, die auch für ein deutschsprachiges Publikum die Bedeutung von „organized crime“ im amerikanischen Kontext aufarbeitet. Mit der Arbeit von Klaus von Lampe ist diese Lücke geschlossen worden: Dabei verfolgt der Autor ein dreifaches Ziel: Er will den Bedeutungsgehalt von „organized crime“ klären, will das Verhältnis zwischen Verbrechensbegriff und -realität klären, und er will ein allgemeines Modell von „organized crime“ entwickeln. Am überzeugendsten gerät v. Lampe der Überblick über die Begriffsgeschichte, die in den Kontext gesellschaftlicher und politischer Wandlungen gestellt wird. Auch die amerikanische „organized crime“-Forschung wird übersichtlich und gut systematisiert dargestellt. Je mehr sich die Arbeit jedoch von Begriff und Forschung der Realität nähert, desto geringer wird die Überzeugungskraft der Argumentation. In der zweiten Hälfte des Buches werden die einzelnen Merkmale von „organized crime“ auf der Ebene der Personen, der Organisationsformen und der gesellschaftlichen Bedeutung diskutiert. Dabei bleibt über weite Strecken offen, inwiefern es sich um Realitätsbeschreibungen oder um die Entfaltung eines analytischen Instrumentariums handelt. Eindeutig die zweite Alternative wird im letzten Kapitel beschritten. Hier wird ein aus 22 unabhängigen Variablen bestehendes Modell vorgestellt, mit dessen Hilfe „organized crime“ genauer bestimmt werden soll. Der Autor bezeichnet dies selbst als einen „lockeren Orientierungsrahmen“, in dem eine Vielzahl ungesicherter Aussagen über die „Wirklichkeit“ zusammengefügt seien. Angesichts der Vielzahl der Variablen, der fast unerschöpflichen und zumeist empirisch ungeklärten Zusammenhänge verwundert es, dass v. Lampe überhaupt am „organized crime“-Konzept festhält. Denn (auch) die amerikanische Geschichte zeigt: „organized crime“ ist ein diffuser Begriff, der sehr unterschiedliche Phänomene beschreiben soll und sich gerade deshalb für politische Kampagnen vorzüglich eignet.
(sämtlich: Norbert Pütter)
Dietrich, Helmut; Glöde, Harald: Kosovo. Der Krieg gegen die Flüchtlinge (Forschungsgesellschaft Flucht und Migration, Heft 7), Berlin 2000 (Verlag Libertäre Assoziation VLA), 144 S., DM 16,-
Die Folgen der flüchtlingsfeindlichen Politik Westeuropas anzuprangern, gehört seit fünf Jahren zu dem erklärten Ziel der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration (FFM). In dem neuesten, seit Februar dieses Jahres vorliegenden Band aus der Reihe „Gegen die Festung Europa“ werden Motive, Hintergründe und Folgen des Kosovo-Krieges vorgestellt und aus menschenrechtlicher Perspektive analysiert. Dabei ist besonders erwähnenswert, dass der zentrale Text der Sammlung – „Flüchtlingspolitik im Krieg“ – bereits kurz nach dem Angriff der NATO entstand; zu einem Zeitpunkt, der vom öffentlich-medialen „Wissenskollaps“ geprägt war. Doch genau darum ging und geht es den Autoren: unter den „prekären Bedingungen“ verschleierter Informationen über die Interessen der europäischen Flüchtlingspolitik zu informieren, um auch zukünftig argumentieren und handeln zu können
Für den vorliegenden Band wurde der ursprüngliche Kerntext erweitert: mit einem Kapitel „Nach dem Krieg – September 1999“ sowie einem dokumentarischen Anhang. So wird nicht nur die aktuelle Situation im Kosovo, sondern vor allem auch die langfristige europäische Strategie analysiert, Flüchtlinge aus Westeuropa fernzuhalten: Mit der propagierten „Hilfe vor Ort“, die in konzertierter Aktion gemeinsam mit den Nichtregierungsorganisationen „Displaced Persons“ in den grenznahen Lagern in Mazedonien oder Albanien zusammenpferchte. Oder mit dem Beschluss der Innenministerkonferenz, ab Juni 1999 eingereisten kosovarischen Flüchtlingen anstatt der Duldung nur eine formlose Bescheinigung auszuhändigen. Die anschließende Analyse der gegenwärtigen Situation fällt ebenso düster aus wie der Ausblick auf künftige Politik: Nicht nur an den Außengrenzen Europas, sondern auch in der Innenpolitik wird die Kriminalisierung „illegaler“ MigrantInnen weitergehen. Europa wird nicht in die soziale Entwicklung auf dem Balkan investieren, sondern weiterhin „anhand von phänotypischen Kriterien wie Hautpigmentierung, Kleidung u.a. die Flüchtlingsabschottung als sozialrassistisches Projekt ins Innere“ verlagern (S. 60).
Nachdem die postulierte moralische Verantwortung und das mediale Interesse am Kosovo – und vor allem an den Kriegsfolgen – nahezu erloschen ist, kommt das kleine Buch zur rechten Zeit. Diverse Glossare erläutern knapp und bündig die Funktionen von Gremien und Behörden in Deutschland und Europa. So bietet der Band nicht nur Überblick und übersichtliche Informationen, sondern liefert gegenüber der klandestin verhandelten Flüchtlingspolitik Europas präzise Argumente.
Bendit, René; Erler, Wolfgang; Niborg, Sima; Schäfer, Heiner (Hg.): Kinder- und Jugendkriminalität. Strategien der Prävention und Intervention in Deutschland und den Niederlanden, Opladen 2000 (Leske+Budrich), 370 S., DM 48,-
50 Beiträge auf gerade einmal 370 Seiten: ein solcher Schnitt lässt sich nicht so leicht übertreffen. Doch Vielfalt und Kürze sind hier Programm. Schließlich wollten die Herausgeber – MitarbeiterInnen des Deutschen Jugendinstituts und des Verwey-Jonker-Instituut in Utrecht – nichts geringeres, als „das Wissen um den Zusammenhang zwischen den Straftaten von Kindern und Jugendlichen und deren immer schwierigeren alltäglichen Lebensbedingungen“ (S. 11) aus beiden Ländern zusammentragen. Dazu werden nicht nur theoretische Positionen, sondern auch sehr viel Praxiserfahrungen vorgestellt.
Spannend, weil quer zum Zeitgeist, ist hier vor allem die Diskussion „Empowerment statt Ausgrenzung“. Als Empowerment werden verschiedene Strategien der Sozialarbeit bezeichnet, in der das „Vertrauen in die Fähigkeiten eines jeden“ (S. 263.) im Vordergrund steht. Doch was bedeutet „normative Enthaltsamkeit der HelferInnen“ in Bezug auf straffälliges Verhalten, wie weit geht das „Recht auf Anders-Sein“? Hier werden Eindrücke gegeben: aus dem Projekt „Nieeuwe Perspectieven“ in Amsterdam, in dem SozialarbeiterInnen verschiedenster Ethnien zusammenarbeiten; oder aus dem Landkreis Dachau, wo soziale Arbeit als Vermittlung zwischen Jugendlichen und Öffentlichkeit oder Politik fungiert. Weitere Kapitel widmen sich präventiven Projekten, der Jugendhilfeplanung, dem Umgang mit Straffälligen und Alternativen zum Strafrecht. So wird etwa von den bezirklichen „Halt-Büros“ in den Niederlanden berichtet, die Jugendlichen die Gelegenheit zur Wiedergutmachung geben, ohne dass die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wird.
Obwohl die Kürze-Vielfalt-Programmatik dieses Bandes auch ihre Kehrseite hat (genauere Analysen der Projekte fehlen), so zeigt er doch einen Horizont der Möglichkeiten, mit delinquentem Verhalten jenseits repressiver Maßnahmen umzugehen.
(beide: Christine Hohmeyer)