von Christoph Ellinghaus
Demonstrationen sind zunehmend mit polizeilichen Spezialeinheiten konfrontiert. Seit einigen Jahren hat auch Thüringen eine Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE). Zuletzt fiel sie AntifaschistInnen auf, die am 6. Juni 1998 in Kassel versuchten, einen Aufmarsch von Neonazis zu verhindern. Die Einheit schützte die Neonazis vor, während und nach ihrer Kundgebung und nahm linke DemonstrantInnen zum Teil auf brutale Weise fest.
In den Blick einer kritischen Öffentlichkeit war die thüringische BFE erstmals beim Großen Zapfenstreich der Bundeswehr auf dem Erfurter Domplatz am 9. November 1995 geraten. Bei dieser Gelegenheit räumte sie die GegendemonstrantInnen vom Platz vor der Absperrung. Zwar war es in den Jahren nach der Wende immer wieder zu polizeilicher Gewalt gegen DemonstrantInnen gekommen. Neu war bei diesem Einsatz jedoch, mit welcher Geschlossenheit diese Einheit auftrat. Ihre Ausstattung und ihr Vorgehen waren bisher nur vom bayerischen Unterstützungskommando (USK) bekannt. In der Folgezeit sollten DemonstrantInnen noch öfters mit der thüringischen BFE Bekanntschaft machen – bei den Protesten gegen den ersten Spatenstich zur Thüringer Waldautobahn, bei den Baumbesetzungen im Thüringer Wald, bei den Protesten gegen den Castor-Transport im Wendland sowie zuletzt bei den antifaschistischen Demonstrationen in Saalfeld. Die Einheit wurde zwischen 1992 und Mitte 1997 519 mal in Thüringen und in elf anderen Bundesländern eingesetzt. Dabei wurden 564 Personen in Gewahrsam und 331 festgenommen.[2]
BF-Einheiten werden bei Anlässen eingesetzt, bei denen die polizeiliche Einsatzleitung ein hohes „Störerpotential“ erwartet. Das sind in Thüringen insbesondere Demonstrationen von Neonazis, antifaschistische (Gegen-) Kundgebungen sowie Fußballspiele. Hinzu kommen Einsätze für die Landespolizei, das LKA sowie Anforderungen anderer Bundesländer.
Das Konzept: isolieren und beweissicher festnehmen
Der Einsatz von Spezialeinheiten bei Demonstrationen ist nicht neu; er ist eine direkte Reaktion auf die Wandlungen des sozialen Protests in Deutschland. Die Widerstandsbewegungen gegen den Bau von Atomkraftwerken und anderen Großprojekten seit den 70er Jahren gaben sich angesichts ihrer Breite und ihrer berechtigten Anliegen nicht mehr mit symbolischem Protest zufrieden, sondern gingen über zu direkten, auch militanten Aktionen. Bauplatzbesetzungen, Entzäunungen, Hausbesetzungen fanden Sympathie und Unterstützung in Teilen der Bevölkerung.
Die Polizei setzte dabei anfangs regelmäßig auf eine massive Konfrontation mit nahezu allen DemonstrantInnen und provozierte so einen Solidarisierungseffekt einerseits zwischen den unterschiedlichen Gruppen und andererseits zumindest mit Teilen der anwohnenden Bevölkerung. Aufgrund der massiven öffentlichen Kritik begann in den polizeilichen Führungsetagen die Suche nach neuen Wegen. Zunächst waren es die auf sog. Anti-Terror-Kampf trainierten Sondereinsatzkommandos (SEK), die auf die DemonstrantInnen losgelassen wurden. Das BFE-Konzept stellt eine Weiterentwicklung dieser Einsätze dar.
Die „Mitwirkung der Bürger“ – sprich die Wahrnehmung des Demonstrationsrechtes – wird in der Theorie als legitim verkauft. Aber ‚Gewalttäter und Störer‘ sollen isoliert und beweissicher festgenommen werden. Ein BFE-Trupp besteht in der Regel aus fünf BeamtInnen, die mit einem Beweissicherungs- und Dokumentationstrupp (BESI bzw. BEDO) zusammenarbeiten. Die BFE ist mittels ihrer Technik in der Lage, die vom BEDO-Trupp aufgenommenen Bilder auszuwerten und noch vor Ort in Fahndungsfotos umzuwandeln. Wird eine Person auf diesen Fotos identifiziert, so wird sie gezielt und gewaltsam aus der Mitte der Demonstration herausgegriffen. Der Zugriff soll koordiniert, auf ein Codewort hin und erst nach der Beweissicherung und nach Lokalisierung des Betroffenen durch alle Mitglieder des Trupps erfolgen. [3]
Eine erste BFE wurde 1985 in Hessen aufgebaut. Wenn auch teilweise unter anderem Namen haben andere Bundesländer vergleichbare Spezialeinheiten. Die bayerischen USK entstanden 1987. [4] Niedersachsen schuf Zivile Streifenkommandos (ZSK) und Zivile Nachtstreifenkommandos (ZNSK). Die E-Schichten aus Hamburg, die wegen ihrer besonderen Brutalität auch Gegenstand des Untersuchungsausschusses über die Hamburger Polizei waren, sind nunmehr in P-(Präsenz-) Schichten umbenannt. [5] Die Berliner „Einheit für besondere Lagen und einsatzbezogenes Training“ (EbLT) war aus dem gleichen Grund 1989 in der kurzen Phase der rot-grünen Koalition aufgelöst worden. 1995 empfahl die Innenministerkonferenz allen Bundesländern den Aufbau von BF-Einheiten. Zusammengenommen verfügten die Bereitschaftspolizeien aller Länder 1997 über 2.120 PolizeivollzugsbeamtInnen in Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten, die für länderübergreifende Einsätze herangezogen werden können. [6]
Glaubt man dem Thüringer Innenminister, so wurde mit dem Aufbau einer eigenen BFE der genannte Beschluß der Innenministerkonferenz umgesetzt. Tatsächlich begann der Aufbau bereits mit einem Erlaß des Thüringer Innenministeriums vom 15.7.1992. [7] Die Idee dazu soll vom Aufbaustab der Bereitschaftspolizeiabteilung (BPA) Thüringen gekommen sein. Von März bis April 1992 nahmen vier Beamte der BPA an einer Spezialgrundausbildung – kurz SGA – der Hessischen BFE in Wiesbaden teil. Vom Juni bis Juli 92 durchliefen 35 junge Polizeibeamte die erste derartige Grundausbildung in Thüringen. Bereits im Juli 1992 wurde dieser Einsatzzug beim Weltwirtschaftsgipfel in München aufgeboten. Bis März 1994 wurden insgesamt sechs SGAs durchgeführt, an denen 187 Polizeibeamte teilnahmen. Im Sommer 1994 verfügte die Thüringer BFE dann über drei Einsatzzüge. [8]
Ausbildung
Nach ihrer allgemeinen polizeilichen Ausbildung können sich die PolizistInnen für die BFE bewerben, in der sie nicht länger als fünf Jahre bleiben sollen. Von 1992 bis Mitte 1997 bewarben sich 275 BeamtInnen, von denen aber nur 173 übernommen wurden. 102 haben die Eignungsvoraussetzungen nicht erfüllt.
Die Spezialgrundausbildung umfaßt insgesamt 352 Unterrichtseinheiten (UE) à 45 Minuten. Unterrichtet werden dabei
- Eingriffsbefugnisse aus der Strafprozeßordnung und dem Polizeiaufgabengesetz (5 UE),
- Rechtsverordnungen bei Versammlungen und Aufzügen (15 UE),
- Formen und Methoden gerichtsverwertbarer Beweissicherung und Dokumentation (44 UE),
- Einsatzbezogene Selbstverteidigung (90 UE). [9]
Der Schwerpunkt der Ausbildung liegt also eindeutig auf dem Training von Gewalt. Einzelne Beamte erhalten eine spezielle Fortbildung für den Umgang mit Foto-, Video- und Tontechnik sowie über Drogenkriminalität. [10] Die hessische Bereitschaftspolizei verpaßt ihren BFE-Beamten eine zweite SGA, einen vierwöchigen Lehrgang, der auf den Einsatz in ziviler Kleidung vorbereitet. [11] Mitglieder von BF-Einheiten erhalten dadurch aber nicht den Status von Verdeckten Ermittlern. In Zivil treten sie nur „einsatzbezogen“ auf. Wie der Thüringer Innenminister gegenüber der innenpolitischen Sprecherin von Bündnis 90/ Die Grünen, Astrid Rothe, erklärte, kann die BFE sowohl während der Demonstration als auch in einem Zeitraum von zwölf Stunden davor und danach in Zivil observieren.
Ausrüstung
Die Ausstattung der Einheiten ist so angelegt, daß sie auch als Einsatzzüge der Bereitsschaftspolizei Verwendung finden können. [12] Sie geht aber weit über das übliche Maß der Bereitschaftspolizei hinaus. Ein besonderer Schlagschutz, schußsichere Westen, in den Helm eingebaute Funkeinrichtungen, asiatische Nahkampfstöcke (sog. Tonfas bzw. Mehrzweckeinsatzstöcke) gehören zur Ausrüstung jedes Mitglieds einer BFE. Die BFE ist zudem nicht nur mit den Mehrzweckpistolen zum Abschießen von Gummischrot und Gasgranaten ausgestattet, sondern führt in ihrem Arsenal auch Maschinenpistolen: Von 13 im September 1995 stieg deren Zahl bis August 1998 auf 40.
Der Fahrzeugpark der Einheit umfaßt nicht nur die üblichen „Wannen“, sondern auch „neutrale“ PKWs und Motorräder für den Einsatz in Zivil. Hinzu kommen Videogeräte, Photoausrüstung, ein Nachtsicht- und ein Metallsuchgerät. Die BFE ist in der Lage, den gesamten Mobilfunkverkehr im „Einsatzbereich“ innerhalb von 5-10 Minuten unter Kontrolle zu haben.
Organisation und Gliederung der BFE, so erklärt das Thüringer Innenministerium, würden ihrer „besonderen Aufgabenstellung gerecht, unter Anwendung spezieller Beweissicherungs und Zugriffstechniken und -taktiken insbesondere das Vorgehen gegen gewalttätige Störer zu unterstützen, (und) beweiskräftige Festnahmen an den Brennpunkten unfriedlichen Geschehens durchzuführen.“
Abschaffen ist besser
DemonstrantInnen und DemonstrationsamelderInnen haben ein Interesse an einer durch die Polizei ungestört ablaufenden Demonstration. Sie müssen sich deshalb gegen martialische Polizeiaufgebote wehren, die ihrem Anliegen durch ihre Außenwirkung schaden und die Demonstrationsfreiheit begrenzen. Nach dem Brokdorf-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1983 ist allenthalben von Deeskalation die Rede. Dies kann nur heißen, daß so wenig Polizei wie möglich eingesetzt wird und daß kleinere Gesetzesverstöße hingenommen werden, wenn es die Lage erfordert. Aufbau und Einsatz von Spezialeinheiten entsprechen dem nicht, denn:
- Diese organisatorisch selbständigen Einheiten entwickeln sich eine Eigendynamik, eigene Handlungsrichtlinien und einen eigenen Corpsgeist bilden sich heraus.
- Aufgrund ihrer besonderen Aufgaben, Ausbildung und des speziellen Trainings sind Festnahmekommandos wenig dazu geeignet, in Konfliktsituationen deeskalierend vorzugehen. Das gewaltsame Eingreifen und die Festnahme einzelner Personen inmitten des Demonstrationsgeschehens muß notwendigerweise zum Gegenteil führen.
- Das bei Spezialeinheiten anzutreffende elitäre Denken kann angesichts zu milde empfundener Gerichtsurteile schnell zu einer Grundeinstellung der Vorabbestrafungen bei Festnahmen kommen – getreu dem Motto: „Was er hat, kann ihm niemand mehr nehmen.“