Informationsverarbeitungs-Gesetze für den Sozialversicherungsbereich – DER STAAT ALS BÜRGERINITIATIVE?

von Bernd Lutterbeck*

Nicht nur die polizeiliche Informationsverarbeitung dient der herrschaftlichen Identifizierung der Bürger. Von der Öffentlichkeit so gut wie nicht beachtet, hat die Bonner Koalition ein ganzes Paket an Gesetzen auf den Weg geschickt, mit denen die Informationsströme von Sozialversicherungen und Krankenkassen zur besseren sozialen Kontrolle ihrer Klienten faktisch über Personenkennzeichen und mit Hilfe eines maschinenlesbaren und fälschungssicheren Sozialversicherungsausweises neu geregelt werden.

1. Aus der Arbeit der Volksvertretung

Nur von wenigen Eingeweihten mit Aufmerksamkeit bedacht, wohl auch von vielen Volksvertretern und manchen Datenschutzbeauftragten der Bundesländer nur am Rande zur Kenntnis genommen, beschäftigt sich die Volksvertretung zu Bonn seit Monaten mit einer Reihe von Gesetzesvorhaben. Ihr Ziel soll es sein, das Gesundheitssystem umfassend zu reformieren und das Sozialgesetzbuch (SGB) an vielen Stellen zu ändern. Zur Kenntnis zu nehmen sind, in chronologischer Reihenfolge:

22.10.1987:
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Sozialgesetzbuches über die Übertragung, Verpfändung von Ansprüchen auf Sozialleistungen, zur Regelung der Verwendung der Rentenversicherungsnummer und zur Änderung anderer Vorschriften (Erstes Gesetz zur Änderung des Sozialgesetzbuches – 1. SGB ÄndG, BT-Drs. 11/104)

07.12.1987:
Verordnung über die Vergabe und Zusammensetzung der Versicherungsnummer (VNrv) vom 7.12.1987 (BGBl 1987 I, s. 2532 ff), seit 1.1.88 in Kraft

02.05.1988:
Entwurf eines Gesetzes zur Einordnung der Vorschriften über die Meldepflichten des Arbeitgebers in der Kranken- und Rentenversicherung sowie im Arbeitsförderungsrecht und über den Einzug des Gesamtversicherungsbeitrags in das Vierte Buch Sozialgesetzbuch.
– Gemeinsame Vorschriften über die Sozialversicherung –
(BT-Drs. 11/2221)

03.05.1988:
Entwurf eines Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen
(Gesundheits-Reformgesetz – GRG, BT-Drs. 11/2237)
Die Drucksache hat einen Umfang von 287 DIN A 4 Seiten.

27.05.1988:
Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Sozialversicherungsausweises und zur Änderung anderer Sozialgesetze.
(Bundesrats-Drs. 242/88)

Alle Entwürfe sollen am 1.1.1989 in Kraft treten. Das 1. SGB ÄndG ist gegen die Stimmen der Opposition am 16.6.88 in 3. Lesung vom Bundestag verabschiedet worden. Das GRG soll am 11.11.1988 in zweiter und dritter Lesung behandelt werden.

Es hat zu diesem Komplex einige, zumeist nicht öffentliche Anhörungen gegeben, einige Zeitungsartikel, die sich die Rede von „gläsernen Patienten“ nicht verkneifen mochten (LEUZE 1988), schließlich am 6. Juni eine Entschließung der Konferenz der Datenschutzbeauftragten zum Gesundheitsreformgesetz (Kurzfassung in: FR v. 21.6.88).

Indessen, bevor wir vorschnell das Lied auf die Tüchtigkeit unserer Volksvertreter anstimmen und das Gerangel um die Reform des Gesundheitswesens eher angewidert dem Spiel der ökonomischen Interessen überlassen, sei angemerkt, daß mehrere wissenschaftliche Gutachten bei den wesentlichen Aspekten dieser Entwürfe zu einem vernichtenden Urteil kommen: „In zentralen Punkten verfassungswidrig“ (STEINMÜLLER/RIEß 1988), „Verstöße gegen den Grundsatz der Normenklarheit“, „die informationelle Gewaltenteilung“, Verwendung eines verfassungswidrigen Personenkennzeichens etc. (aus den gutachterlichen Stellungnahmen von Podlech, Schimmel und Lutterbeck zum 1. SGBÄndG vor dem Arbeits- und Sozialausschuß, Stenografisches Protokoll der 27. Sitzung v. 13. April 1988).

Ich will im folgenden diese Gesetzesentwürfe unter dem Gesichtspunkt der Informationsverarbeitung näher vorstellen. Dies wird allerdings nur kursorisch geschehen können. Für die Beantwortung einer Frage möchte ich wenigstens Handreichungen geben:
Wie kommt es eigentlich, daß diese Entwürfe, die nahezu die ganze Bevölkerung betreffen, unter fast vollständigem Schweigen auch der sog. kritischen Öffentlichkeit verabschiedet werden können?

2. Von der Kunst des Gesetzgebers, die Verwendung der Versicherungsnummer einzuschränken

Im sog. DEVO/DÜVO-Meldeverfahren zur gesetzlichen Sozialversicherung wird eine Rentenversicherungsnummer erzeugt.
Beispiel: August Jedermann erhält die RVNr. 65 170839 J 008
Die RVNr. erklärt sich wie folgt:
65 = Bereich, in diesem Fall Berlin
170839 = Geburtsdatum
J = Anfangsbuchstabe des Geburtsnamens
OO = Seriennummer
Sie dient zur Unterscheidung der Versicherten, die am selben Tag geboren sind, deren Familienname denselben Anfangsbuchstaben hat und die im selben Bereich zum erstenmal registriert werden.
00 – 49 für Männer
50 – 99 für Frauen
8 = Prüfziffer

Interessanterweise definiert die RVNr. zugleich die interne Organisationsstruktur der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA):
Für die Verwaltung der Versicherten und Rentenkonten sind drei Leistungsabteilungen zuständig. Jede der Leistungsabteilungen bearbeitet ein Drittel der Mitgliederkonten, wobei die Tageszahl des Geburtsdatums eines Mitglieds bestimmt, welche Leistungsabteilung zuständig ist.

Die Leistungsabteilungen sind in sich hierarchisch aufgebaut, wobei die unterste Ebene dieser Hierarchie eine sog. Rate ist. Eine Rate besteht im allgemeinen aus vier Mitarbeitern. Die Prüfziffer der Versicherungsnummer legt fest, von welcher Rate das jeweilige Konto bearbeitet wird. Somit läßt sich schon aus der Versicherungsnummer erkennen, welche Rate für dieses Konto zuständig ist.

Im Beispiel bedeutet das: Das Versicherungskonto von August Jedermann wird in der Leistungsabteilung 2 von der Rate 8 bearbeitet.

Die Informationsflüsse stellen sich im Überblick so dar:

(Freiraum für graphische Darstellung)

Die so erzeugte RVNr. ist schon immer zur Verwaltung der Bestände der Rentenversicherungsträger, der Krankenkassen und für bestimmte Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit (z.B. in Arbeitserlaubnisverfahren) benutzt worden. Auch die Arbeitsmedizinischen Dienste der Berufsgenossenschaften benutzen die RVNr., eine Verwendungsart, die der Bundesbeauftragte für den Datenschutz schon immer für rechtswidrig gehalten hat (3. TB, S. 41 ff; 5. TB, S. 68 ff; 7. TB, S. 40).
Nach dem Volkszählungsurteil kann keine rechtsfreie Phase der Informationsverarbeitung mehr zulässig sein. Entsprechend müßte die Verwendung der RVNr. gesetzlich geregelt werden. Dies sieht dann in der letzten, mir zugänglichen Fassung des 1. SGB ÄndG so aus:

(Freiraum für 18 f und g)

Laut amtlicher Begründung (S. 10) ist es „Ziel des Gesetzentwurfs zu verhindern, daß die Versicherungsnummer ein allgemeines Personenkennzeichen wird. Deshalb werde die Verwendung der RVNr. außerhalb der Rentenversicherung eingeschränkt“ (S. 10). Was man sich unter „einer einschränkenden Verwendung“ vorzustellen hat, wird weder durch die Begründung des 1. SGB ÄndG deutlich, noch wird dies klarer, wenn man sich die Antwort der Bundesregierung v. 11.5.88 auf eine kleine Anfrage zur faktischen Verwendung der RVNr. durchliest (BT-Drs. 11/ 2300). Ein kurzer historischer Rückblick indessen ist geeignet, die Sinne ein wenig zu schärfen.
Der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages hat in seiner 97. Sitzung v. 5. Mai 1976 – überraschend und ohne jede Begründung – den Entwurf eines Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) nur mit folgender Maßgabe gebilligt:
„Die Entwicklung, Einführung und Verwendung von Numerierungssystemen, die eine einheitliche Numerierung der Bevölkerung im Geltungsbereich dieses Gesetzes ermöglichen (Personenkennzeichen) ist unzulässig.“

Als Reaktion auf diesen Beschluß haben die Abgeordneten Benno Erhard und Genossen am 26.10.1977 den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Reichsversicherungsordnung mit folgenden Zielen eingebracht (BT-Drs. 8/1086):
Die Ermächtigungsnorm des 319 RVO sollte so begrenzt sein, daß die Rentenversicherungsnummer auf keinen Fall zu einem einheitlichen Kennzeichen für alle Sozialversicherungsträger wird. Insbesondere sollte verhindert werden, daß die Krankenkassen die RVNr. verwenden dürfen.

Aus den Plenarprotokollen wird deutlich, worauf sich diese Absicht der (CDU-) Abgeordneten bezog (8. Wahlperiode, 61. Sitzung v. 8.12.1977, S. 4639 ff): Bei der Einfügung der Ermächtigung des 319 RVO war beabsichtigt, das im Entwurf eines Bundesmeldegesetzes vorgesehene Personenkennzeichen (PK)zu verwenden:
„Als Versicherungsnummer soll grundsätzlich das PK verwendet werden … Falls sich die Einführung des PK verzögert, ist vorgesehen, bis zu seiner Einführung die VNr. der Rentenversicherung zu verwenden, damit unterschiedliche VNrn. in der Krankenversicherung und der Rentenversicherung verhindert werden.“

319 RVO atmet also den Geist des gescheiterten Bundesmeldegesetzes. Das veränderte verfassungsrechtliche Verständnis, das im Votum des Rechtsausschusses zum Ausdruck kommt, mußte deshalb in der Sicht des Jahres 1977 dazu führen, die Ermächtigungsnorm des 319 RVO auf das rechtstaatlich Gebotene zu begrenzen.

Bekanntlich ist der o.a. Gesetzentwurf parlamentarisch nicht weiter verfolgt worden.
Das – inhaltlich nicht näher begründete – Votum des Rechtsausschusses ist durch das BVerfG im sog. Volkszählungsurteil an zwei Stellen bestätigt worden (BVerfGE, S. 1 ff):
Das Gericht spricht von
„einheitliches Personenkennzeichen oder sonstiges Ordnungsmerkmal“ (S. 53);
„einheitliches, für alle Register und Dateien geltendes Personenkennzeichen oder dessen Substitut“ (S. 57).
Auch das Bundesverfassungsgericht erläutert diese Ausführungen nicht im einzelnen.

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz Hans-Peter Bull hat in seinem Tätigkeitsbericht für 1982 (5. TB, S. 68/69) den erwähnten früheren Entwurf der Abgeordneten Benno Erhard und Genossen wieder aufgegriffen und – noch vor dem Erlaß des Volkszählungsurteils – Grundlegendes zu den Risiken bei der Verwendung dieser RVNr. ausgeführt. Die entscheidenden Sätze lauten:
„Es kann kein vernünftiger Zweifel bestehen, daß diese Risiken (die im Entwurf von B. Erhard beschrieben werden, B.L.) für die Privatsphäre der Bürger auch heute noch bestehen. Hinzu kommt ein weiteres, eher strukturelles Risiko. Die gesetzliche Sozialverwaltung erfaßt heute etwa 90% der Gesamtbevölkerung. Eine gemeinsame Nummer für diesen großen schon jetzt kaum mehr überschaubaren Bereich hätte zur Konsequenz, daß die Vielfalt der unterschiedlichen Informationsprozesse und unterschiedlichen Interessen nach einem einheitlichen Prinzip organisiert wäre. Es ist darüber hinaus davon auszugehen, daß Dritte, zu denken wäre etwa an Arbeitgeber oder Ärzte, ihre Bestände mit dem gleichen Ordnungsmerkmal organisieren. Das Risiko einer derartigen Entwicklung sehe ich – in Übereinstimmung mit vergleichbaren ausländischen Erfahrungen – in der Unüberschaubarkeit des so entstehenden Systems von Informationsbeziehungen und den fehlenden Möglichkeiten, die einmal entstandene Organisationsstruktur je nach politischem Willen jemals noch zu ändern. Schon aus Kostengründen wäre dies nicht durchsetzbar.“

Was man also unter einer „einschränkenden Verwendung der VNr.“ zu verstehen hat, kann man immer noch und kaum besser in dem Gesetzentwurf der CDU-Bundestagesabgeordneten lesen. Es ist deshalb Orwells Neusprach, wenn das gleiche Thema im 1. SGÄndG vom 22.10.1987, so als gäbe es kein Gedächtnis, als Einschränkung der VNr. behandelt wird: Das 1. SGB ÄndG läßt die Verwendung der VNr. praktisch unbeschränkt zu. Die VNr. ist damit Ordnungsmerkmal nahezu der gesamten Bevölkerung im großen Bereich der sozialen Sicherungssysteme.

Was mit diesem, scheinbar nebensächlichen Gesetz, das als erstes der Bonner Reformvorhaben verabschiedet ist, gemeint ist, wird deutlicher, wenn man es mit anderen Reformvorhaben in Zusammenhang liest.

3. Von der Ausweiskarte für Bauarbeiter zum Sozialversicherungsausweis

Wer die skandalösen parlamentarischen Verfahren bei den sog. Sicherheitsgesetzen erlebt hat, sollte sich dies als allgemeines strategisches Muster einprägen. Folgende Taktiken muß man inzwischen beherrschen:

* die Rudeltaktik
Parlamentarier und Datenschutzbeauftragte werden in einer kaum durchschaubaren zeitlichen Abfolge mit neuen Gesetzen bombardiert. Die Erfahrung spricht dafür, daß nur wenige Menschen in der Bundesrepublik auch nur die Zeit haben, dies alles zur Kenntnis zu nehmen.

* die Vernebelungstaktik
Man gibt Gesetzentwürfen irreführende oder auch euphemistische Benennungen in der Erwartung, daß die zuständigen Parlamentarier und Datenschutzbeauftragten neue Entwürfe erst gar nicht zur Kenntnis nehmen. Genau dies ist nach glaubhafter Versicherung von Beteiligten beim 1. SGÄndG zunächst passiert. Die Überschrift dieses Gesetzes handelt nämlich zunächst von der politisch nicht sehr wesentlichen Pfändung etc. von Ansprüchen auf Sozialleistungen.

Ein Schurke auch, der hinter der Überschrift „Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Beschäftigung“ Böses vermutet (Referentenentwurf des BMA v. 23.3.1984). Nur einem solchen böswilligen Leser konnte auffallen, daß sich in dem umfangreichen Werk u.a. ein „Gesetz über die Ausweiskarte für Arbeitnehmer im Baugewerbe“ verbarg. Der frühere Bundesdatenschutzbeauftragte hat seinen bösen Willen, das VZ-Urteil noch frisch in Erinnerung, im 7. TB (S. 40 f) gezeigt und den Entwurf für die vergangene Legislaturperiode gestoppt.

* die Ermüdungstaktik
Zu lösen ist die Aufgabe, wie man etwa kritisches Potential auf falsche Fährten lockt und die wenigen, dann noch übrigbleibenden Kämpfer so mit neuen Gesetzentwürfen vollschmeißt, daß selbst gutwillige, besoldete Datenschützer den Überblick verlieren.
Damit diese Taktik aufgeht, müßte es zunächst gelingen, den Nebenkriegsschauplatz „Volkszählung“ 87 als elementares Problem von Rechtsstaat und Demokratie aufzubauen. Diese Taktik ist offensichtlich aufgegangen. In die allgemeine Erschöpfung hinein mußte sodann, den Regeln dern Rudeltaktik folgend, ein datenschutzrelevantes Gesetz nach dem anderen eingebracht werden. Neben den hier erwähnten Sozialgesetzen sind dies:
– der Entwurf eines neuen BDSG
– eine Novellierung des Betriebsverfassungs-Gesetzes (BetrVG 72)
– Telekommunikationsordnung, Fernmeldeanlagengesetz und Poststrukturgesetz
– Verfassungsschutzmitteilungsgesetz
und schließlich ein immer deutlicher werdender Einfluß europäischer Gesetzgebung.

Wer mag angesichts dieser gravierenden Strukturveränderungen in zahlreichen gesellschaftlichen Bereichen noch über die Relevanz eines Sozialversicherungsausweises streiten?

* die Spaltungstaktik
Bei so guter Vorbereitung ist es dann keine Schwierigkeit mehr, die letzte verbleibende Aufgabe zu lösen, nämlich die trotz allem noch an Bürgerrechten interessierten Kreise zu zwingen, sich auf die Kritik einzelner Vorhaben mit ihren Einzelheiten zu beschränken. Deutlich sichtbar wird dies in der Entschließung des Datenschutzbeauftragten vom 6. Juli 88. Dieses mehr oder weniger, aber im Ergebnis funktionierende Gremium sah sich nicht in der Lage, eine gemeinsame Stellungnahme zum neuen Ausweis und zum SGÄndG abzugeben: Die Konferenz hat als ernstzunehmendes Instrument abgedankt.

Das Vorhaben selbst, um das es hier geht, ist schnell beschrieben: die grundlegende Vorschrift lautet ( 95 SGB IV):
„Jeder Beschäftigte erhält einen Sozialversicherungsausweis. Der Sozialversicherungsausweis ist nach Maßgabe der nachfolgenden Vorschriften bei Ausübung der Beschäftigung mitzuführen, beim Arbeitgeber und bei Kontrollen zur Aufdeckung der illegalen Beschäftigungsverhältnisse vorzulegen sowie zur Verhinderung von Leistungsmißbrauch beim zuständigen Leistungsträger zu hinterlegen.“

Er enthält folgende Daten: VNr., Familienname, ggf. Geburtsname sowie weitere Angaben, die der BMA durch Rechtsverordnung bestimmt ( 101 Nr. 1 SGB IV). Ausgestellt wird der Ausweis beim DEVO/DÜVOMeldeverfahren durch den zuständigen Rentenversicherungsträger ( 96 Abs. 1 SGB IV).
Zur Mitführung eines Ausweises sind Arbeitnehmer verpflichtet, die in folgenden Bereichen arbeiten:
* Schaustellergewerbe
* Baugewerbe
* Gebäudereinigungsgewerbe
* weiter, vom BMA zu bestimmende Wirtschaftsbereiche ( 101 Nr. 3 SGB IV).
Alle anderen Arbeitnehmer müssen ihn bei Beginn des Beschäftigungsverhältnisses lediglich vorlegen. Auf dieser Basis baut der Entwurf sodann ein neues Meldeverfahren auf für folgende Gruppen:
* Arbeitnehmer aus den erwähnten Wirtschaftsbereichen („Sofortmeldungen“, 130 SGB IV)
* geringfügig Beschäftigte ( 104 i.V. mit 8 SGB IV).

Das Meldeverfahren stellt sich im Überblick so dar:

(Freiraum für graphische Darstellung)

Der Gesetzentwurf will „ein Instrumentarium zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung, von Leistungsmißbrauch und mißbräuchlicher Ausnutzung der Geringfügigkeitsgrenze“ schaffen und zwar durch
* „die Einführung des Sozialversicherungsausweises
* die Einbeziehung geringfügiger Beschäftigter in das bestehende Meldeverfahren zur Sozialversicherung
* die Festschreibung der „Geringverdienergrenze auf das Niveau von monatlich 600 DM“.
Der Entwurf soll also vor allem auch nebenbei verdienende Studenten in das System der sozialen Sicherung einbeziehen.
Es hieße indessen, die Phantasie des Gesetzgebers zu unterschätzen, wenn man glaubt, dieser habe mit dem neuen „fälschungssicheren“ (und natürlich maschinenlesbaren) Ausweis, den neuen Daten bei Krankenkassen, DSRV und Bundesanstalt für Arbeit sein Pulver schon verschossen. Dies wird sichtbar bei der Lektüre des Gesundheitsreformgesetzes (GRG).

4. Die Reform des Gesundheitswesens

Das GRG, das als 5. Buch des SGB gedacht ist, sieht folgende hier zu behandelnde Instrumente vor:

* die Versichertennummer ( 298 SGB V)
„Die Krankenkasse verwendet für jeden Versicherten eine Versichertennummer.“
Vorsicht beim Lesen: Das 1. SGB ÄndG regelt die Verwendung der Versicherungsnummer, nicht die der Versichertennummer.
* die Krankenversicherungskarte ( 299 SGB V)

(Freiraum für 299)

* das Versichertenverzeichnis ( 292 SGB V)

(Freiraum für 292)

Die Funktion dieser, man könnte sagen, Stammdaten, erschließt sich bei der Lektüre weiterer Vorschriften:

(Freiraum für 293 und 294)

* Medizinischer Dienst der Krankenversicherung ( 283 ff SGB V)

(Freiraum für 283, 284, 285)

5. Warum man den Staat als Bürgerinitiative oder Verbraucherschutzorganisation sehen muß

Man könnte und müßte zu diesen Gesetzen und Entwürfen viel sagen, viel kritisieren und im Detail belegen. Diese zumindest für Verwaltungs- und Verfassungsjuristen genußreiche Aktivität will ich mir hier nicht nur aus Platzgründen versagen. Wichtiger scheint die politische Bewertung dieses auch für Datenschutzfachleute kaum mehr überschaubaren Gesamtkunstwerks.

Günter Borchert, ein früherer Mitarbeiter des Bundesverbandes der Ortskrankenkassen und heute Hochschullehrer, beklagt in seinem Aufsatz über das GRG die Politisierung des Datenschutzes, sieht den Datenschutz im Großen und Ganzen gewährleistet, „vermag“ auch in der Vergabe oder Nichtvergabe von Versichertennummern keine besonderen Probleme erkennen. Über diese Positionen könnte man noch streiten. Der folgende Satz verdient indessen besondere Aufmerksamkeit (S. 394):
„Man kann die Funktionen der Krankenversicherung teilweise am treffendsten dadurch kennzeichnen, daß man die Kassen als Verbraucherschutzorganisationen ihrer Versicherten bezeichnet.“

Haben wir richtig gelesen: Die Krankenkassen als „Verbraucherschutzorganisationen“? Eine Institution des öffentlichen Rechts, der durch die neuen und schon geschaffenen Gesetze ein Zwangsapparat zur Verfügung gestellt wird, der fast die gesamte Bevölkerung betrifft. Ist diese Institution gewissermaßen eine Bürgerinitiative sui generis? Die Bürger und Bürgerinnen im Schulterschluß mit ihren Kassen gegen die bösen Ärzte und die gierige Pharmaindustrie? Das kann doch wohl nicht wahr sein!

Aber es ist wahr, zumindest für das Selbstverständnis der Krankenkassen. Borcherts Satz trifft daher ins Schwarze. Wer mehr über dieses Selbstverständnis der herrschenden Gesundheitspolitiker wissen möchte, kann dies genauer in einer wieder aktuell gewordenen Aufsatz von Rolf Neuhaus aus dem Jahr 1979 nachlesen. Seine Träume scheinen mit den neuen Gesetzen wahr zu werden: Die Krankenkassen als der zentrale gesellschaftliche Ort, in dem über die Arbeits- und Lebensbedingungen der Bevölkerung entschieden werden soll.

Etwas provokativ könnte man es so formulieren: Die Krankenkassen wären als der künftig zentrale Ort sozialer Kontrolle zu entdecken.

Hoffentlich merkts einer.

LITERATURVERZEICHNIS

Borchert, G., 1988, Struktur des Gesundheitswesens und Patienten-datenschutz, in: CR 1988, S. 391 ff
Eaton, Josef W., 1986, Card Carrying Americans. Privacy, Security and the National Card, Debate, Totowa/New Jersey 1986
Faupel, G., 1988, Sozialversicherungsausweis: Überwachungsstaat statt Sozialstaat, in: Soziale Sicherheit 1/1988, S. 18 ff
Leuze, R., 1988, Mit Gesundheitsprofilen auf dem Weg zum gläsernen Patienten?, in: Dokumentation der Frankfurter Rundschau v. 22.4.1988
Neuhaus, R., 1979, Krankenversicherung und Gesundheitssicherung. Die Rolle der Krankenkassen in der Prävention, in: KrV/Mai 1979, S. 116 ff
Ruhland/Volkert, Datenstelle der Deutschen Rentenversicherung. Aufgabenstellung und Funktionsweise, in: CR 1988, S. 427 ff
Simitis, S., 1988, Selbstbestimmung: Illusorisches Projekt oder reale Chance?, in: Rüsen/ Lämmert/Glotz (Hg.), Die Zukunft der Aufklärung, Frankfurt 1988, S. 165 ff
Steinmüller/Rieß, 1988, Die Verwendung der Versicherungsnummer in den Gesetzentwürfen zur Strukturreform im Gesundheitswesen, Gutachten v. 11.4.1988, hg. von den GRÜNEN IM BUNDESTAG, Bonn 1988
Zacher, HansF., 1985, Verrechtlichung im Bereiche des Sozialrechts, in: ders. (Hg.), Verrechtlichung von Wirtschaft, Arbeit und sozialer Solidarität, Frankfurt 1985, S. 11 ff.

* Der Autor ist Professor für Informatik an der TU Berlin

Foto: Michael Hughes